Flieh Wenn Du Kannst
einfach.
»Was tust du hier?« gab Bonnie heftig zurück. »Welches Recht hast du, dich in diesem Haus aufzuhalten? Wie konntest du es wagen, hierher zurückzukommen! Wie kannst du es wagen, das Andenken meiner Mutter so zu verspotten!« Bestürzt über die Heftigkeit ihres Ausbruchs, trat Bonnie einen Schritt zurück.
»So siehst du das?«
»Ich sehe nur, daß du hier nichts zu suchen hast. Du hast dieses Haus immer gehaßt. Du konntest es nicht erwarten, von hier wegzukommen.«
»Ich habe dieses Haus immer geliebt«, korrigierte er sie. »Ich muß allerdings zugeben, daß ich diese verdammte Blumentapete immer gehaßt habe. Aber nachdem deine Mutter und ich beschlossen hatten, uns scheiden zu lassen...«
»Du bist doch einfach abgehauen. Du hast ihr überhaupt keine Wahl gelassen.«
»Sie war diejenige, die dieses Haus im Grunde nie mochte, falls du das nicht wissen solltest. Ich mußte sie dazu überreden, hier herauszuziehen. Sie hätte lieber in der Stadt gelebt. Aber dann bestand sie darauf, das Haus als Teil der Scheidungsvereinbarung zu behalten, wahrscheinlich vor allem, um mich zu ärgern.«
»Wahrscheinlich, um uns Kinder nicht noch mehr zu verunsichern«, entgegnete Bonnie. »Sie war vermutlich der Meinung, wir hätten schon genug mitgemacht.«
»Vielleicht. Wir werden es wohl nie erfahren.« Steve Lonergan schwieg. Er sah zum Fenster hinaus. »Wie dem auch sei, nach ihrem Tod, als das Haus an Nick überging, fragte er mich, ob ich es ihm abkaufen wolle. Er brauchte das Bargeld dringender als ein großes Haus. Adeline und ich hatten nichts dagegen, ihm zu helfen.«
»Nein, keiner hat je was dagegen, dem armen Nick zu helfen.« Bonnie konnte nur zornig den Kopf schütteln.
»Vielleicht ist er nicht so stark wie du, Bonnie.«
»Natürlich, und die Schwachen werden die Erde besitzen«, gab Bonnie zurück, die sah, daß die Bibel immer noch auf dem Couchtisch lag.
»Auf wen bist du eigentlich so wütend, Bonnie?« fragte ihr Vater.
»Was soll das denn wieder heißen?«
»Ich bin nicht derjenige, der gestorben ist und das Haus deinem Bruder hinterließ«, versetzte ihr Vater.
Bonnie begann zwischen dem Sofa und dem Sessel hin und her zu gehen. »Wenn du mir einreden willst, daß ich in Wirklichkeit auf meine Mutter wütend bin, kannst du das gleich vergessen. Ich weiß genau, auf wen ich wütend bin. Er steht direkt vor mir.«
»Warum bist du wütend?«
»Warum?« äffte Bonnie ihn nach.
»Ja, warum?« wiederholte er.
»Was glaubst du wohl, warum?« schrie Bonnie. »Du hast deine Familie im Stich gelassen.«
»Ich bin gegangen, weil die Situation unerträglich war.«
»Unerträglich für wen? Meine Mutter war es bestimmt nicht, die sich jede Nacht woanders herumgetrieben hat.«
»Nein, deine Mutter war jede Nacht zu Hause in ihrem Bett.«
»Sie war krank.«
»Sie war immer krank, verdammt noch mal.«
»Machst du ihr das vielleicht zum Vorwurf?«
»Nein. Ich sage nur, daß ich so nicht mehr leben konnte.« Er strich sich mit der Hand über den Kopf. »Ich versuche nicht, mich zu entschuldigen, Bonnie. Ich weiß, daß ich feige war. Aber vielleicht könntest du mal ein paar Minuten lang versuchen zu verstehen, wie es für mich war. Ich war noch ein relativ junger Mann. Es gab so vieles, was ich tun wollte. Deine Mutter wollte niemals irgend etwas unternehmen. Sie hatte zu nichts Lust. Sie hatte kein Interesse daran, sich einen Freundeskreis zu schaffen oder zu reisen, sie hatte nicht einmal Lust, mit mir zu schlafen.«
»Sie war krank. Sie hat gelitten«, sagte Bonnie.
»Ich habe auch gelitten«, gab ihr Vater zurück. »Ich habe darunter gelitten, so leben zu müssen, das Gefühl zu haben, daß mein ganzes Leben bereits vorbei sei, jede Nacht neben einer Frau zu schlafen, die immer zurückzuckte, wenn ich sie berührte. Bonnie, du warst damals noch ein Kind, ich habe nicht erwartet, daß du das verstehen würdest. Aber jetzt bist du erwachsen. Ich hatte auf ein bißchen Mitgefühl gehofft.«
»Wo war denn dein Mitgefühl?«
»Ich habe mich bemüht, Bonnie. Ich habe mich jahrelang bemüht.«
»Und dann bist du gegangen. Und danach wurde sie nie wieder wie früher.«
»Sie war genau wie früher, und das weißt du auch.«
»Du bist gegangen und nie zurückgekommen.«
»Sie wollte es so.«
»Sie wußte ja gar nicht, was sie wollte. Sie war krank...«
»Und ich war kurz davor zu ersticken. Ich konnte nicht mehr atmen. Ihre Krankheit steckte uns alle an.«
»Und da bist du
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