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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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gegangen und hast es zwei Kindern überlassen, sich um sie zu kümmern?«
    »Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte.«
    »Du hättest uns mitnehmen können!« schrie Bonnie ihn an, wie vom Donner gerührt über die Worte, die aus ihrem Mund kamen. Sie brach in Tränen aus und ließ sich auf das Sofa fallen. »Du hättest uns mitnehmen können!« rief sie schluchzend.
    Lange Zeit sprachen sie beide nicht. Nach einer Weile merkte Bonnie, das ihr Vater an ihrer Seite stand, seine Hand auf ihre Schulter legte.
    »Nicht!« sagte sie und schüttelte seine Hand ab. »Es ist zu spät.«
    »Warum ist es zu spät?«
    »Weil ich kein kleines Mädchen mehr bin.«
    »Du wirst immer mein kleines Mädchen sein«, sagte er.
    »Du hast ja keine Ahnung«, erklärte sie, ohne ihn anzusehen. »Du hast keine Ahnung, wie oft ich geweint habe, daß ich jede Nacht darum gebetet habe, daß du zurückkommen und uns holen sollst. Einmal hab’ ich nachts im Schlaf sogar einen Koffer gepackt und unten auf dich gewartet. Aber nicht du warst es, der mich dort gefunden hat. Nicht du warst es, der mich geweckt hat.«
    »Es tut mir so leid, Bonnie. Ich war immer bemüht, den Kontakt zu euch zu halten. Das weißt du.«
    »Ja, du hast uns immer sehr gewissenhaft deinen neuen Ehefrauen vorgestellt.«
    »Du hast keinen Zweifel daran gelassen, auf wessen Seite du stehst; daß du nichts mit mir zu tun haben wolltest.«
    »Ich war ein Kind, Herrgott noch mal. Was erwartest du von einem Kind?«
    »Ich habe erwartet, daß du erwachsen werden würdest.«
    »Du hast uns verlassen. Du hast mich verlassen.« Wieder begann Bonnie zu schluchzen.
    »Es tut mir so leid«, wiederholte ihr Vater. »Ich wollte, es gäbe irgend etwas, das ich jetzt tun oder sagen könnte.« Er schwieg. Er ging zum Fenster und starrte auf die Straße hinaus.
    »Bist du glücklich?« fragte Bonnie, den Blick auf seinen leicht geneigten Rücken gerichtet. »Bist du glücklich mit Adeline?«
    »Sie ist eine wunderbare Frau«, antwortete ihr Vater, sich umdrehend. »Ich bin sehr glücklich, ja.«
    »Und Nick? Glaubst du, daß er sein Leben jetzt endlich in den Griff bekommt?«
    »Ja, das glaube ich. Warum willst du ihm nicht eine Chance geben?«
    »Ich traue ihm nicht.«
    »Er ist dein Bruder.«
    »Er hat unserer Mutter das Herz gebrochen.«
    »Er hat keine Schuld an ihrem Tod, Bonnie.«
    Bonnie schluckte, wischte sich ungeduldig die Tränen aus den Augen, sagte nichts. Dann stand sie auf. »Ich muß jetzt gehen.« Sie ging hinaus, spürte, daß ihr Vater ihr folgte.
    »Alles in Ordnung?« fragte Adeline, die mit einem großen Holzlöffel in der Hand aus der Küche kam.
    »Ja, alles in Ordnung«, antwortete Steve Lonergan und sah Bonnie um Bestätigung bittend an. Bonnie nickte. Ihr Blick glitt zur Treppe.
    »Ich backe gerade einen Apfelkuchen«, sagte Adeline. »Er ist gleich fertig. Vielleicht möchtest du ein Stück.«
    »Ich muß wirklich fahren«, erwiderte Bonnie automatisch, von der Treppe angezogen wie von einem Magneten.
    »Möchtest du dir ansehen, wie wir die oberen Räume eingerichtet haben?« fragte Adeline.
    Bonnie hatte den rechten Fuß schon auf der untersten Stufe, die linke Hand an der Wand. Irgend etwas zog sie die Treppe hinauf, winkte ihr mit unwiderstehlicher Kraft. Und während sie sich noch fragte, was sie da tat, stieg sie langsam eine Stufe nach der anderen hinauf, bemerkte, wie die weißen Wände sich verdunkelten, dann mit Blumen bedeckten, deren betäubender Duft sie einhüllte und schwindlig machte. Blödsinn, sagte sie sich, den Blick schon auf das Zimmer am Ende der Treppe gerichtet. Das ist nur der Apfelkuchen im Rohr. Hier gibt es keinen Blumenduft. Hier gibt es keine Blumen.
    Und es wartet auch niemand in dem Zimmer hier oben, sagte sie sich, als sie die letzte Stufe hinaufstieg und über den Flur ging, um die Tür zu dem Zimmer aufzustoßen, das einst das Schlafzimmer ihrer Mutter gewesen war.
    Die Frau saß aufrecht in der Mitte des Bettes, ihr Gesicht im Schatten.
    »Wir haben alles verändert, wie du siehst«, sagte Adeline irgendwo neben Bonnie. »Uns hat Blau für ein Schlafzimmer gefallen, und ich hatte immer schon eine Schwäche für Spiegel.«
    »Kannst du mich ein paar Minuten allein lassen?« fragte Bonnie, den Blick auf die schattenhafte Gestalt in der Mitte des Bettes gerichtet.
    »Aber natürlich«, antwortete Adeline mit einem Anflug von Verwirrung in der Stimme. »Wir sind unten.«
    Bonnie hörte, wie sich die Tür hinter ihr schloß.

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