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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Nick war verhaftet worden. Du hattest den Schlaganfall. Und ich dachte, meine Neuigkeit würde dich retten.« Bonnie lachte. »Trotz allem, was geschehen war, glaubte ich immer noch, ich hätte die Macht, dich zu heilen. Und wenn nicht ich, so ganz bestimmt mein Kind. Mein Kind, dachte ich, würde dich am Leben erhalten, würde dir die nötige Kraft geben, den Willen zu leben, den Wunsch, ihr erstes Lächeln und ihre ersten Schritte zu sehen. Ich redete mir ein, daß du für mein Kind da sein würdest, wie du für mich nie dagewesen warst, daß du eine wunderbare Großmutter werden würdest, die Pullover strickt und Apfelkuchen bäckt.« Unwillkürlich dachte sie an Adeline unten in der Küche.
    »Aber nicht einmal dazu warst du fähig, nicht wahr?« fuhr sie fort. »Du mußtest sterben, noch bevor Amanda geboren wurde. Du hast mir nicht einmal die Freude gegönnt, dir mein Kind zu zeigen.«
    »Glaubst du denn, ich hätte das absichtlich getan?« fragte ihre Mutter.
    »Es ist mir egal, ob du es absichtlich getan hast«, entgegnete Bonnie. »Für mich zählt nur, daß du nicht da warst, daß du nie da warst. Nicht für Dad, nicht für Nick, nicht für Amanda und ganz bestimmt nicht für mich.«
    Ihre Mutter faltete die Hände im Schoß und starrte sie an. »Was ist nur aus dir geworden, Bonnie? Du warst immer so ein gutes Kind.«
    »Ich war kein so gutes Kind!« schrie Bonnie und sah, wie die Spiegel erzitterten und verschüttete, verlorene Bilder zeigten – das ängstliche kleine Mädchen im weißen Kleid, die beklommene Halbwüchsige, die besorgte junge Frau Anfang zwanzig, die nervöse Braut, die erregte werdende Mutter; sah, wie sie die Köpfe einzogen und sich die Ohren zuhielten. »Weißt du eigentlich, wie oft ich mir gewünscht habe, du wärst tot?« schrie sie auf. »Hast du eine Ahnung, wie oft ich mir gewünscht habe, dein Herz würde einfach stillstehen?« rief sie und spürte, wie ihr bei diesem Eingeständnis das Herz zerriß. »Weißt du, daß ich genausooft um deine Gesundheit gebetet habe wie darum, daß du einschlafen und nicht mehr aufwachen möchtest? Nein, ich bin kein gutes Kind. Ich bin überhaupt nicht gut.« Bonnie verbarg den Kopf im Schoß ihrer Mutter und schluchzte.
    Nach einer Weile spürte sie die Hand ihrer Mutter auf ihrem Hinterkopf, spürte die Finger, die ihren Hals streichelten. »Ich liebe dich«, flüsterte ihre Mutter mit schwächer werdender Stimme.
    »Ich liebe dich mehr«, sagte Bonnie weinend.
    »Es ist ja gut«, sagte jemand. »Es ist gut, Bonnie. Es wird alles wieder gut.«
    Langsam hob Bonnie den Kopf und sah Adeline, die neben ihr stand und sanft ihren Nacken streichelte. Sie blickte auf das Bett, fühlte, daß die himmelblaue Decke unter ihren Händen flach war. Das Bett war leer. Ihre Mutter war verschwunden.
    »Dein Vater und ich haben dich weinen gehört«, sagte Adeline. »Wir haben uns Sorgen gemacht.«
    »Entschuldige«, erwiderte Bonnie und wischte sich die Augen. »Ich wollte euch nicht erschrecken.«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Jeder darf traurig sein. Und jeder darf weinen.«
    Bonnie nickte und stand schwerfällig auf. »Ich sollte wirklich gehen.«
    »Mußt du denn schon weg?« fragte Adeline. »Nick hat eben angerufen. Ich habe ihm gesagt, daß du hier bist. Er sagte, er wäre in ein paar Minuten da.«
    »Ich kann nicht warten. Ich muß nach Hause.«
    »Dein Vater und ich würden uns freuen, wenn du zum Abendessen bliebst. Du könntest doch zu Hause anrufen und die ganze Familie einladen. Es wäre uns eine Freude...«
    »Vielen Dank, aber das geht nicht«, sagte Bonnie rasch. »Rod ist verreist, und mir geht es nicht gut.«
    »Dann vielleicht ein andermal.«
    »Vielleicht«, wiederholte Bonnie und sah sich ein letztesmal in dem Zimmer um, ehe sie die Gespenster und Schatten der Vergangenheit hinter sich ließ.

26
    Er erwartete sie, als sie nach Hause kam.
    »Josh!« rief Bonnie überrascht und dankbar, als sie ihn beim Aussteigen in der Auffahrt stehen sah. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen.
    »Der Wagen läuft wieder, wie ich sehe«, sagte er.
    Etwas verlegen wegen ihrer überraschend großen Freude, ihn zu sehen, und hoffend, daß es ihr nicht vom Gesicht abzulesen war, sah sie hastig auf die Uhr und stellte fest, daß es beinahe fünf Uhr war.
    »Was tun Sie denn hier?« fragte sie dann.
    »In der Schule sagte man mir, daß Sie immer noch krank seien, und da wollte ich einmal vorbeischauen, um zu sehen, wie es Ihnen

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