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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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geliebt.«
    »Nein. Du hast dich auf mich verlassen. Du hast auf mich gezählt. Ich war deine Gute, weißt du das nicht mehr? Ich war das brave kleine Mädchen. Die gute Seele, wie du so oft gesagt hast. Du hast dich auf mich verlassen. Aber geliebt hast du Nick.«
    »Das ist doch Unsinn, Bonnie«, protestierte ihre Mutter gereizt. »Ich erwarte mehr von dir.«
    »Du hast immer mehr von mir erwartet«, fuhr Bonnie sie an. »Und ich habe die Erwartungen immer erfüllt. Oder nicht? Hab’ ich nicht immer deinen Erwartungen entsprochen? Hab’ ich nicht immer extra noch eins draufgelegt?«
    Ihre Mutter sagte nichts.
    »Mein ganzes Leben lang hab’ ich versucht, dir Freude zu machen, dich glücklich zu machen. Immer hab’ ich versucht, es dir recht zu machen. Ich wollte alles tun, damit es dir besser geht. Als ich klein war, dachte ich immer, ich sei vielleicht schuld daran, daß du krank bist, und ich dachte immer, wenn ich ganz brav wäre und dir keinen Ärger machen würde, würdest du wieder gesund werden. Sogar als ich älter war und wußte, daß deine Probleme mit mir nichts zu tun hatten, bildete ich mir noch ein, ich könnte dafür sorgen, daß du wieder gesund wirst. Ich habe mit Gott gefeilscht. Ich habe ihm alles versprochen, wenn er dich nur wieder gesund machen würde; wenn er dich glücklich machen würde. Und nachdem Dad gegangen war, fühlte ich mich noch mehr verantwortlich. Bemühte ich mich noch mehr. Ich hab’ gekocht, ich hab’ saubergemacht, ich war die Beste in der Schule. Als Nick anfing, Dummheiten zu machen, hab’ ich versucht, brav genug für uns beide zu sein. Aber ich konnte mich noch sosehr bemühen, ich konnte noch solange beten, ich konnte noch so brav sein, du wurdest nicht gesund. Du bist nur aus dem Haus gegangen, wenn du zum Arzt mußtest. Ist dir eigentlich klar, daß du nicht ein einziges Mal zu den Schulaufführungen gekommen bist, in denen ich mitgespielt habe? Daß du nie einen meiner Lehrer kennengelernt hast? Daß du nicht einmal zur Abschlußfeier gekommen bist, als ich mit dem Studium fertig war?«
    »Ich war krank!«
    »Du warst immer krank!«
    »Und das wirfst du mir vor?«
    »Nein!« rief Bonnie. Dann: »Doch! Doch, ja, das werfe ich dir vor.« Sie stieß einen Schrei tiefer Qual aus. »Was ist das für ein Leben für ein Kind? Wir durften keine Freunde einladen. Wir mußten immer flüstern. Wir durften keine laute Radiomusik hören, keine Haustiere haben, wir durften nicht einmal miteinander streiten. Wir mußten uns immer genau überlegen, was wir sagen oder was wir tun, um dich nur ja nicht aufzuregen und noch kränker zu machen. Die Ärzte haben dir immer wieder gesagt, du sollst aufstehen und aus dem Haus gehen, etwas unternehmen. Sie haben gesagt, du könntest ein normales Leben führen, du seist keine Invalidin, die ihr Leben lang ans Bett gefesselt wäre...«
    »Ärzte!« warf ihre Mutter verächtlich ein. »Wozu sind die schon gut?«
    »Na, du mußt es wissen. Du hast sie ja in rauhen Mengen verbraucht. Jedesmal, wenn dir einer etwas sagte, was du nicht hören wolltest, hast du gewechselt. Immer wieder hast du einen gefunden, der sich deine Klagen und dein Jammern angehört hat und dir ein paar neue Tabletten verschrieben hat. Hast du mal dran gedacht, daß diese wahnsinnigen Mengen an Tabletten, die du dauernd geschluckt hast, zu deinem Schlaganfall beigetragen haben könnten?«
    »So ein Unsinn! Du weißt so gut wie ich, daß ich einen Herzfehler hatte...«
    »Ein Herzgeräusch. Millionen Menschen haben Herzgeräusche. Und sie führen trotzdem ein ganz normales, produktives Leben.«
    »Ich hatte Allergien. Ich hatte Migräne.«
    »Du hattest einen Mann und zwei Kinder, die dich brauchten.«
    »Ich habe mich nach besten Kräften bemüht.«
    »Du hast dich überhaupt nicht bemüht!« Bonnie schloß die Augen, als das Zimmer sich plötzlich um sie zu drehen begann. »Du hast uns lange vor Dad verlassen.«
    Es war still.
    »Nein, an dem Haus lag mir nichts«, sagte Bonnie schließlich, bemüht, ihre Gedanken zusammenzufassen und all das, was sie empfand, zum Ausdruck zu bringen. »Rein verstandesmäßig habe ich natürlich begriffen, warum du das Haus Nick hinterlassen hast. Aber ich fühlte mich so ausgeschlossen. So im Stich gelassen.«
    Bonnie stand auf, ging zum Toilettentisch und starrte in den Spiegel, der ihre Mutter zeigte. »Als ich erfuhr, daß ich schwanger war, konnte ich kaum erwarten, es dir zu erzählen. Die Monate davor waren schlimm gewesen.

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