Flieh Wenn Du Kannst
näherten sich eilige Schritte. Hinter den Vorhängen an den Seitenfenstern wurde verschwommen das Gesicht einer Frau sichtbar, der Stoff wurde mit einem Ruck auf die Seite gezogen, blaue Augen starrten Bonnie an, offensichtlich schokkiert über das, was sie sahen.
»Sie sind doch Rods Frau«, sagte Caroline Gossett, als sie Bonnie die Tür öffnete und sie mit unverhohlener Neugier musterte.
Caroline Gossett war groß, wie Bonnie sie in Erinnerung hatte, aber sie war schlanker, wirkte in Jeans und einer losen blaßrosa Baumwollbluse, die ihr auf die Hüften herabhing, weit weniger imposant als bei der Beerdigung in ihrem marineblauen Seidenkleid. Sie hatte das Haar zu einem Pferdeschwanz hochgebunden und war ungeschminkt. Und dennoch hatte sie etwas Elegantes.
»Ich dachte, wir könnten vielleicht einmal miteinander reden«, sagte Bonnie.
»Aber sicher«, antwortete die Frau freundlich und trat ein paar Schritte zurück. »Kommen Sie doch herein.«
Bonnie folgte ihr ins Innere des Hauses. »Ich danke Ihnen. Ich weiß, ich hätte vorher anrufen sollen...«
»Nein, es ist wahrscheinlich ganz gut, daß Sie es nicht getan haben. Sie wissen schon... das Überraschungsmoment und so.« Caroline Gossett schloß die Haustür und wies mit einer Handbewegung zur Küche. »Möchten Sie ein Glas Zitronenlimonade? Ich habe gerade einen frischen Krug gemacht.«
Nein, besser nicht, dachte Bonnie. »Ja, gern«, antwortete sie. »Vielen Dank.«
»Kommen Sie.«
Bonnie folgte Caroline Gossett in eine große, quadratische Küche. Der Raum war ganz in Weiß und Gelb gehalten, mit erdfarbenen mexikanischen Fliesen ausgelegt. Die Wände schmückten einige gerahmte Kohlezeichnungen von Frauen und Kindern, unverkennbar von der Hand derselben Künstlerin wie die Bilder in Joans Wohnzimmer. Entweder hatten die beiden Frauen einen ähnlichen Geschmack, oder irgendeine Galerie hatte einen Räumungsverkauf veranstaltet.
»Die sind wirklich schön«, bemerkte Bonnie, während ihr Blick von der Zeichnung einer Mutter, die ihr neugeborenes Kind im Arm hielt, zu der einer älteren, die eine alte Frau, wahrscheinlich ihre Mutter, umfangen hielt, schweifte.
»Danke.«
»Es tut mir leid, wenn ich Sie störe«, sagte Bonnie höflich, obwohl es nicht die Wahrheit war.
»Ach, ich bin ganz dankbar für diese Unterbrechung. Ich fing schon an zu schielen.« Caroline Gossett machte den Kühlschrank auf, nahm einen großen Krug Limonade heraus und goß zwei Gläser ein.
»Zu schielen?«
»Ich arbeite gerade an einer Skizze für ein neues Bild.«
»Sie arbeiten an einer Skizze? Dann sind diese Zeichnungen von Ihnen?« Bonnie betrachtete die Bilder mit neuem Blick. Die Frau, die diese bemerkenswerten Zeichnungen angefertigt hatte, war offensichtlich eine sensible Künstlerin. Man konnte sie kaum als frivol und oberflächlich bezeichnen.
»Rod hat Ihnen nicht erzählt, daß ich male«, sagte Caroline.
»Nein, er hat mir gar nichts erzählt.«
»Er weiß also nicht, daß Sie hier sind«, meinte Caroline. Sie hatte eine seltsame Art, ihre Fragen in Feststellungen zu kleiden.
»Ich wußte selbst nicht, daß ich herkommen würde.«
»Das ist interessant.« Caroline reichte Bonnie ein Glas.
Bonnie trank einen großen Schluck und spürte, wie ihr ganzer Mund sich zusammenzog.
»Zu sauer?«
»Nein, sie schmeckt sehr gut.« Bonnie führte das Glas wieder an ihre Lippen, trank aber nicht.
Caroline lächelte. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie eine ganz schlechte Lügnerin sind?«
»Das sagt mir jeder immer und überall.«
Carolines Lächeln vertiefte sich. Sie sah sehr hübsch aus, wenn sie lächelte, dachte Bonnie. Beinahe mädchenhaft.
»Joan hat sich immer darüber beschwert, daß meine Limonade nicht süß genug sei. Sie war eine ganz Süße. Genau wie Sie.«
»Ich mag eigentlich gar nichts Süßes«, entgegnete Bonnie, die sich nicht besonders wohl dabei fühlte, mit Rods geschiedener Frau verglichen zu werden.
»Ja, das hat sie auch immer gesagt.« Caroline lächelte. »Wie geht es den Kindern?«
Bonnie seufzte. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann nicht behaupten, daß sie mir ihr Herz ausgeschüttet haben.«
»Lassen Sie ihnen Zeit. Es ist doch eine wahnsinnige Umstellung für sie.«
»War die Beziehung zu ihrer Mutter sehr eng?«
Caroline ließ sich die Frage einen Moment durch den Kopf gehen. »Nicht so eng, wie Joan es gerne gehabt hätte«, antwortete sie schließlich. »Sam entwickelte sich ziemlich
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