Flieh Wenn Du Kannst
reden erst einmal Sie. Was hat er Ihnen denn die ganzen Jahre erzählt? Daß er der ewig liebende Ehemann einer völlig unzurechnungsfähigen Trinkerin gewesen sei?«
Bonnie bemühte sich erfolglos, sich nichts anmerken zu lassen.
»Das dachte ich mir schon. Das ist die Geschichte, die er den meisten Leuten erzählt. Vielleicht glaubt er sogar selbst daran. Wer weiß? Wen interessiert es?« Sie stand auf, ging zum Klavier und blieb stehen. »Hat er Ihnen vielleicht gesagt, daß Joan unter anderem deshalb zu trinken angefangen hat, weil er nie zu Hause war? Weil er ein völlig verantwortungsloser Ehemann und desinteressierter Vater war? Weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, anderen Frauen hinterherzulaufen, um sich für seine eigene Familie zu interessieren? Nein, ich seh’s an Ihrem Gesicht, daß er es vorgezogen hat, davon nichts zu sagen.«
»Diese Geschichten hat Ihnen Joan erzählt«, erklärte Bonnie, diesmal, wie Caroline, ihre Frage in eine Feststellung kleidend.
»Wenn Sie damit unterstellen wollen, daß ich blindlings alles geglaubt habe, was Joan mir erzählte, dann täuschen Sie sich. Ich habe unseren Superman eines Abends selbst gesehen, als er angeblich arbeitete. Lyle und ich waren im Copley Square Hotel beim Essen, und er saß ganze zwei Tische entfernt und knabberte am Ohr einer aufregenden Brünetten.«
»Mein Gott noch mal, das war wahrscheinlich was Geschäftliches. Rod ist ein wichtiger Mann beim Fernsehen. Er hat wahrscheinlich jeden Tag mit aufregenden Frauen zu tun.«
»Und nachts auch«, fügte Caroline mit einer Ruhe hinzu, die Bonnie wütend machte. »Glauben Sie mir, das war keine geschäftliche Sache.«
»Ganz gleich, was es war«, entgegnete Bonnie, »Rod hat Joan nicht wegen einer anderen Frau verlassen.«
»Was hat er Ihnen denn erzählt, warum er sie verlassen hat?« Bonnie trank noch einen Schluck Limonade. Sie schmeckte bitter auf ihrer Zunge. »Er sagte, nach dem Tod des Kindes...«
»Nur weiter.«
»Nach dem Tod des Kindes konnte er es einfach nicht mehr ertragen, mit ihr zusammenzusein.«
»Ja, er war nach Kellys Tod eine Riesenhilfe«, sagte Caroline.
»Ich habe den Eindruck, Sie spielen sich als Richterin auf.«
»Ich dachte, Sie wollten meine Meinung hören.«
»Woher wollen Sie wissen, wie meinem Mann damals zumute war, was er innerlich durchmachte?«
»Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Und was haben Sie gesehen?«
»Einen Mann, der seine Frau bei jeder Gelegenheit betrog, einen Mann, der nie da war, wenn sie ihn brauchte, einen Mann, der sie im Stich ließ, als sie ihn am nötigsten brauchte.«
»Er konnte nicht bleiben«, versuchte Bonnie zu erklären. »Jedesmal, wenn er Joan sah, sah er seine tote kleine Tochter vor sich.«
»Dann hat er sie nach ihrem Tod öfter gesehen als zu ihren Lebzeiten«, versetzte Caroline mit so viel bitterer Schärfe, daß es beiden Frauen einen Moment die Sprache verschlug. »Tut mir leid«, sagte sie dann leise, nach einer langen Pause. »Das war ziemlich stark, selbst für mich. Ihr Mann schafft es offensichtlich, meine nettesten Seiten zum Vorschein zu bringen.«
Bonnie hätte am liebsten zu weinen angefangen, aber sie nahm sich zusammen. »Sie kennen meinen Mann nicht sehr gut.«
»Vielleicht sind Sie diejenige, die ihn nicht kennt«, erwiderte Caroline.
»Es war nicht mein Mann, der ein vierzehn Monate altes Kind in der Badewanne ertrinken ließ«, erinnerte Bonnie.
»Und wer spielt sich jetzt als Richterin auf?« meinte Caroline.
»Fakten sind Fakten.«
»Und Unfälle passieren. Und Menschen machen Fehler. Und wenn sie Glück haben, bekommen sie von denen, die ihnen am nächsten sind, ein wenig Hilfe und Verständnis. An dem Nachmittag, an dem Kelly ertrunken ist, sind zwei Menschen gestorben«, erklärte Caroline leise. »Joans Beerdigung fand nur etwas verspätet statt.« In ihren Augen glänzten Tränen.
»Sie haben bei der Beerdigung noch etwas anderes gesagt«, bemerkte Bonnie.
Caroline zuckte mit den Achseln und wartete darauf, daß Bonnie fortfahren würde.
»Sie sagten, es gäbe Sie heute nicht mehr, wenn Joan nicht gewesen wäre. Was wollten Sie damit sagen?«
»Ich habe vor einigen Jahren selbst eine ziemlich schwere Zeit durchgemacht«, erklärte Caroline. Ihre Stimme war leiser als zuvor. »Ich möchte nicht näher darauf eingehen, aber ich erfuhr damals, daß ich niemals Kinder bekommen kann.«
»Das tut mir leid«, sagte Bonnie aufrichtig.
»Joan war damals jeden Tag für mich da.
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