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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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ihr. Sie ist wirklich ein prachtvolles Tier, dachte Bonnie, einen Moment lang wie hypnotisiert von dem Anblick und von der Tatsache, daß sie die Schlange tatsächlich in ihren Händen hielt. Wenn mir vor einer Woche, ach was, vor einer Stunde, jemand gesagt hätte, daß ich demnächst eine über einen Meter lange Boa constrictor in Händen halten würde, hätte ich den Betreffenden für verrückt erklärt. Und jetzt hielt sie das verdammte Biest nicht nur in ihren Händen, sondern fand es auch noch angenehm, die Übertragung der Kraft vom Körper der Schlange auf den ihren zu spüren. Ohne Zweifel war sie selbst diejenige, die für verrückt erklärt werden mußte.
    Plötzlich begann die Schlange sich zu winden, stemmte sich gegen ihre Finger und Handflächen, so daß sie ihr zu entkommen und auf den Boden zu fallen drohte. Das durfte auf keinen Fall passieren. Sie kämpfte mit der Schlange, um sie im Griff zu behalten. Hatte Sam nicht gerade gesagt, daß die Schlange es haßte, fallen gelassen zu werden?
    »Vielleicht solltest du sie jetzt wieder nehmen«, sagte Bonnie. Was würde sie tun, wenn Sam sich weigerte, einfach lachend aus dem Zimmer ginge? Lieber Gott, von all dem Blödsinn, den sie in den letzten Tagen fabriziert hatte, war dies bei weitem der blödsinnigste. Glaubte sie ernstlich, sie fände auf diesem Weg einen Zugang zu Sam? Ihn dazu bewegen, sich zu öffnen und über seine Mutter zu sprechen? Glaubte sie wirklich, daß der Weg zum Herzen eines halbwüchsigen Jungen über seine Boa constrictor führte?
    »Aber klar«, sagte Sam und nahm ihr ohne Probleme die Schlange aus den Armen, um sie in ihren Behälter zurückgleiten zu lassen. Danach drückte er fest den Deckel zu.
    Bonnie fühlte sich plötzlich wie beschwipst. Sie hörte jemanden lachen und merkte, daß sie selbst das war. »Ich hab’s geschafft!« Sie lachte wieder. »Ich hab’s tatsächlich geschafft.«
    Sam lachte mit ihr. »Du warst toll«, sagte er.
    »Ja, das stimmt«, stimmte sie zu.
    »Meine Mutter hat sich L’il Abner immer nur vom Leib gehalten«, brummte Sam und fuhr sich sofort mit der Hand über den Mund, als wollte er die Worte auslöschen.
    Bonnie hielt den Atem an. Sie hätte den Jungen am liebsten mit Fragen überschüttet, wußte aber, daß sie vorsichtig zu Werke gehen mußte. »Wirklich?« war daher alles, was sie sagte.
    »Sie hat immer gesagt, er wäre schleimig und widerlich«, fuhr Sam fort, den Blick auf seine Schlange gerichtet. »Aber er ist überhaupt nicht schleimig.«
    »Nein, das ist er wirklich nicht.«
    »Es hat sie einfach nicht interessiert.«
    »Aber sie hat dir immerhin erlaubt, die Schlange im Haus zu behalten. Das hätte meine Mutter nie getan«, sagte Bonnie. Sie hatte als Kind nie ein Tier haben dürfen. Mutters Allergien, hatte man ihr immer erklärt. Sie erinnerte sich an das Hündchen, das Nick eines Nachmittags mit nach Hause gebracht hatte, nur um mitgeteilt zu bekommen, daß er es sofort wieder dahin zurückbringen solle, wo er es gefunden hatte. »Aber er gehört doch zu mir«, hatte Nick gebettelt – ohne Erfolg.
    »Hm, ja.«
    »Wie war deine Mutter eigentlich, Sam?« fragte Bonnie vorsichtig.
    Schon war das gleichgültige Achselzucken wieder da. »Keine Ahnung«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Wir sind uns meistens aus dem Weg gegangen.«
    »Und warum?«
    »Da müßtest du sie schon selber fragen.« Er lachte, merkwürdig erstickt und abgerissen, und rieb sich mit dem Zeigefinger die rechte Nasenseite.
    »Ist der dir nicht im Weg?« Bonnie zeigte auf den Ring in seinem linken Nasenflügel.
    »Ach, mit der Zeit vergißt man den«, antwortete er. Ein scheues Lächeln erhellte flüchtig sein Gesicht und erlosch gleich wieder.
    »Erzähl mir etwas über deine Mutter«, sagte Bonnie und sah, wie er erstarrte.
    Eine Weile sagte er gar nichts. »Du findest, ich sollte traurig sein, daß sie tot ist«, bemerkte er schließlich.
    »Bist du das nicht?«
    »Nein. Warum sollte ich traurig sein?« Sein Blick forderte sie heraus. »Sie war eine miese alte Alkoholikerin. Sie hat mich nie geliebt.«
    »Du glaubst, deine Mutter hätte dich nicht geliebt?« wiederholte Bonnie.
    »Sie hat nur Lauren geliebt«, fuhr Sam fort. »Mit mir hatte sie überhaupt nichts am Hut.« Wieder kratzte er sich an der Seite seiner Nase. »Und ich hatte mit ihr nichts am Hut. Darum bin ich auch nicht traurig, daß sie tot ist.«
    »Das muß für dich sehr schwer gewesen sein.«
    »Was?«
    »Mit einer Mutter aufzuwachsen,

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