Flieh Wenn Du Kannst
Da sollte lieber ich für dich kochen.«
»Du kochst doch nie«, entgegnete Bonnie.
»Das stimmt. Also gut, dann bei euch. Um sieben?«
»Freitag um sieben. Bis dann.« Bonnie legte auf und spielte zerstreut an den Strapsen herum, die von dem schmalen Spitzengürtel herabhingen.
»Entschuldigung.«
Bonnie stopfte die Dessous hastig wieder in die Plastiktüte und drehte sich nach Lauren um, die in der Tür zum Schlafzimmer stehengeblieben war.
»Hallo, Schatz. Ist irgendwas?« fragte Bonnie.
»Ich finde mein rotes T-Shirt nicht«, sagte Lauren, ohne Bonnie anzusehen.
»Das hab’ ich gewaschen«, antwortete Bonnie. Sie knüllte die pinkfarbene Plastiktüte in ihrer Hand zusammen und legte sie wieder in die Kommode, ehe sie das rote T-Shirt aus dem Wäschekorb nahm.
»Du brauchst meine Sachen nicht zu waschen«, sagte Lauren. »Das kann ich selbst.«
»Das ist doch gar nicht der Rede wert«, versicherte Bonnie. Bitte, laß mich doch wenigstens das für dich tun, fügte sie lautlos hinzu.
Lauren kam langsam ins Zimmer und nahm das T-Shirt, das Bonnie ihr hinhielt. »Danke.«
»Gern geschehen«, erwiderte Bonnie dankbar.
Ihre Finger berührten einander flüchtig, gleich darauf war Lauren verschwunden.
»Sam?« Bonnie klopfte sachte an seine Zimmertür. »Sam, kann ich einen Moment reinkommen?« Sie klopfte noch einmal. Was mache ich denn jetzt schon wieder? fragte sie sich. Ganz klar, daß er bei dem Gejaule und Getöse in seinem Zimmer ihr Klopfen nicht hörte. Sie klopfte ein drittes Mal, lauter, indem sie mit der Faust mehrmals gegen die Tür schlug. »Sam!« rief sie. »Sam, kann ich mal kurz reinkommen?«
Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich plötzlich, und die Musik überschwemmte den Flur wie Lava aus einem Vulkan, die alles zu verschlingen drohte.
»Ich habe deine Wäsche hier«, schrie Bonnie und wies mit dem Kopf auf den Korb in ihren Armen.
»Oh, Klasse«, schrie Sam zurück. »Vielen Dank.« Er trat zur Seite, um sie ins Zimmer zu lassen.
Bonnie zögerte nur einen Moment, dann ging sie hinein, warf einen raschen Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, daß die Schlange in ihrem Glaskasten war. Angenehm überrascht nahm sie zur Kenntnis, daß das Zimmer ganz ordentlich aussah. Sie stellte den Wäschekorb aufs Sofa und drückte eine Hand auf ihr Ohr.
»Findest du das nicht ein bißchen laut?« fragte sie.
Sam ging zur Stereoanlage und drehte die Lautstärke herunter. »Tut mir leid.«
»Schon gut«, antwortete Bonnie. Sie wünschte, sie hätte gewußt, wie sie ihm näherkommen, ihn dazu bewegen könnte, sich zu öffnen und über seine Mutter zu sprechen. Eine liebevolle Beziehung war es offensichtlich nicht gewesen. Das wußte sie schon seit seiner merkwürdigen Reaktion auf die Nachricht von ihrem Tod. Wo ist ihr Auto? hatte er gefragt. »Ding-Dong, die Hexe ist tot.« Aber zweifellos war er in diesem Moment unter Schock gestanden; sicher spiegelte die völlige Gleichgültigkeit, die er noch immer an den Tag legte, nicht seine wahren Gefühle wider. »Macht es L’il il Abner nichts aus, wenn die Musik so laut ist?« Widerstrebend sah Bonnie zu der Schlange hinüber.
»Überhaupt nichts«, versicherte Sam. »Schlangen sind taub.«
»Wirklich?«
»Sie spürt die Schwingungen, aber hören kann sie gar nichts.« Sam ging zu dem Terrarium und klopfte mit den Fingern leicht an das Glas.
Vorsichtig näherte sich auch Bonnie. Die Schlange streckte sich ihr entgegen wie in Alarmbereitschaft. Bonnie schluckte, zwang sich, das Reptil genau zu betrachten.
»Sie ist wirklich schön«, bekannte sie.
»Ja, das finde ich auch.« Stolz schwang in Sams Stimme.
»Und wie lang wird sie, hast du gesagt?«
»Bis zu dreieinhalb Metern, an die fünf Meter, wenn sie in freier Wildbahn leben würde.«
»Unglaublich.« Bonnie wußte nicht, ob sie von der Schlange sprach oder davon, daß sie selbst sich so nah an das Tier herangewagt hatte. »Was ist das für Zeug auf dem Boden?«
»Westafrikanische Koralle«, erklärte Sam. »Man kann auch einfach Kiesel nehmen.«
Bonnie wies auf die anderen Dinge in dem Glasbehälter. »Und wozu ist das alles?«
»Das Thermometer brauche ich, um die Temperatur im Terrarium zu regulieren. Sie sollte fünfunddreißig Grad nicht überschreiten. Interessiert dich das wirklich?« fragte er skeptisch.
»Aber ja.« Es erstaunte Bonnie selbst, daß es wahr war. »Bitte, erzähl weiter.«
Sams Gesicht schien plötzlich lebendig zu werden. »Also, je wärmer es
Weitere Kostenlose Bücher