Flieh Wenn Du Kannst
geht vorüber.« Bonnie zählte bis zehn und öffnete dann langsam wieder ihre Augen.
Das Zimmer drehte sich nicht mehr, aber es schien noch zu schwanken. Sie wartete, die Finger ihrer rechten Hand in das dünne Telefonbuch gekrallt, fragte sich, ob sie überhaupt in der Lage wäre, die winzige Schrift in dem Buch zu entziffern. Sie mußte hier weg. Sie mußte nach Hause, in ihr eigenes Bett. Verdammt, daß Rod nicht da war. Wohin konnte er nur gefahren sein?
Bonnie rappelte sich hoch, das Telefonbuch in der Hand, als wäre es ein Anker, der ihr Halt geben könnte. Mit langsamen Schritten kehrte sie zum Telefon zurück, griff mit einer Hand nach dem Hörer, während sie mit der anderen in den Gelben Seiten blätterte. Das laute Summen aus dem Hörer vibrierte an ihrem Ohr wie ein lästiges Insekt. Dann hatte sie endlich den Eintrag für das Taxiunternehmen gefunden und begann die Nummer einzutippen.
Erst da vernahm sie plötzlich die anderen Geräusche – das Zuschlagen einer Tür, Schritte im Korridor. Langsam und zielstrebig kamen die Schritte näher. Du bist in Gefahr, rief Joan durch das Telefon. Bonnie ließ den Hörer fallen, hörte ihn auf dem Boden zu ihren Füßen aufschlagen. Du bist in Gefahr, rief Joan wieder. Du bist in Gefahr.
»Und du bist eine Idiotin«, sagte Bonnie wütend, nicht sicher, ob sie Joan meinte oder sich selbst. Ihr Herz raste, der Kopf schwamm ihr. »Du machst dich völlig verrückt, das ist alles.«
Die Schritte kamen näher, zögerten vor der Tür zum Lehrerzimmer. Bonnie hielt den Atem an, fühlte sich wie gelähmt. Es ist doch nur der Hausmeister, der absperren will, sagte sie sich. Vielleicht hat er gesehen, daß dein Wagen noch auf dem Parkplatz steht, und will sich vergewissern, daß alles in Ordnung ist.
War es wirklich nur ein unglücklicher Zufall gewesen, daß ihr Wagen nicht angesprungen war?
Oder hatte sich jemand am Auto zu schaffen gemacht?
»O Gott«, sagte Bonnie laut. Viel zu laut, realisierte sie, als die Tür des Lehrerzimmers aufging. »Nein!« schrie Bonnie, als der Mann in der Tür erschien.
Der Mann sprang überrascht zurück. »Um Gottes willen!« stieß er hervor und schaute erschrocken über seine Schulter, als hätte er Angst, es sei jemand hinter ihm. »Was ist denn los? Was ist denn?«
»Mr. Freeman?« fragte Bonnie und versuchte sich zu beruhigen, um wenigstens seine Gesichtszüge klar zu erkennen.
»Mrs. Wheeler«, entgegnete er, als hätte er es wissen müssen. »Was ist denn los? Warum haben Sie geschrien?«
»Sie haben mir einen Schrecken eingejagt«, bekannte Bonnie nach einer kleinen Pause. »Ich wußte nicht, daß Sie es sind.«
»Was dachten Sie denn, wer es wäre? Ein Schreckgespenst?«
»Vielleicht.« Bonnie ließ sich auf den Stuhl fallen, der hinter ihr stand.
Josh Freeman musterte sie mit einem Blick, in dem sich Neugier und Verwunderung mischten.
»Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Mir ist ein bißchen schwindlig.«
Josh ging sofort zum Wasserkühler, füllte einen Becher mit Wasser und brachte ihn ihr. »Trinken Sie.«
Bonnie nahm den Pappbecher, führte ihn an ihre Lippen und trank das Wasser mit einem Zug. »Danke.« Er hat ein sympathisches Gesicht, dachte sie, überrascht wie schon bei Joans Beerdigung von der wunderbaren Klarheit seiner Augen.
»Besser so?«
»Ich hoffe es. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«
»Es ist ja nichts passiert«, sagte er.
»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie noch im Haus sind.«
»Ich glaube, wir sind die letzten.«
»Mein Wagen springt nicht an. Ich wollte gerade ein Taxi bestellen.«
Er zögerte. »Wohnen Sie weit von hier?«
»Nein. Gleich drüben in der Winter Street. Das sind nur ein paar Minuten.«
Wieder ein kurzes Zögern. »Ich könnte Sie mitnehmen.«
»Wirklich?«
»Ist die Vorstellung so verblüffend?«
»Nun ja, Sie gehen mir doch in letzter Zeit ganz bewußt aus dem Weg«, sagte Bonnie.
»Ja, da haben Sie recht«, gab er zu. »Hat die Polizei inzwischen jemanden verhaftet?«
Bonnie schüttelte den Kopf und gab sich Mühe, sich von ihrer Überraschung über seinen Gedankensprung nichts anmerken zu lassen.
»Unterhalten wir uns doch auf der Fahrt«, schlug er vor.
Bonnie nickte. Sie stand unsicher auf und folgte ihm aus dem Lehrerzimmer in den langen Korridor. Endlich also würde es zu einem Gespräch kommen, und das sogar auf seine Veranlassung. Das hätte ich selbst nicht besser einfädeln können, dachte sie und wurde plötzlich unruhig. Vielleicht war
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