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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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weiß, wie’s dir geht. Und wenn dir übel werden sollte, dann atme tief durch. Vergiß das nicht.«
    Lauren nickte. »Ich versuch’ jetzt erst mal, ein bißchen zu schlafen.«
    Bonnie zog ihr die Decke bis zum Hals. »Ich sag’ Sam, er soll dir eine Tasse Tee bringen«, sagte sie und ging aus dem Zimmer. »Ich bin kerngesund. Ich bin kerngesund«, bleute Bonnie ihrem Spiegelbild ein, als sie in der Schule in der Lehrertoilette stand.
    Kann ja sein, daß du kerngesund bist, versetzte ihr Spiegelbild, aber das ändert nichts daran, daß du fürchterlich aussiehst.
    Das Spiegelbild hatte recht. Das mußte selbst Bonnie zugeben, als sie sah, wie bleich ihr Gesicht war, beinahe durchsichtig. Leichenblaß, dachte sie, müde, matt, krank, energielos. Ja, all das. Ich werde nie wieder dieses tote Graugrün tragen, beschloß sie. Tot. Ja, so sah sie aus, wie eine Tote.
    Aber war diese Empfindlichkeit ihres Magens, waren die neuen Wellen von Übelkeit, die sie den ganzen Tag gequält hatten, wirklich mit der Farbe ihres Kleides zu erklären? Natürlich hatten auch ihre Schüler nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden beigetragen. Sie waren unruhig, desinteressiert, ablehnend. Haze war wieder einmal besonders provokativ gewesen – schon die Art, wie er auf seinem Stuhl fläzte, die Beine in den schwarzen Stiefeln in voller Länge ausgestreckt, die tätowierten Arme erhoben, die Hände hinter dem Kopf zusammengelegt. Er wußte nichts, aber er hatte auf alles eine Antwort. Er machte nie seine Hausaufgaben, führte keinen der Aufträge aus, die sie regelmäßig verteilte, zeigte nie auch nur das geringste Interesse an dem, was sie sagte.
    »Warum kommst du überhaupt noch her?« hatte sie gefragt.
    »Weil ich so gern in Ihrer Nähe bin«, hatte er prompt geantwortet.
    Die ganze Klasse hatte gelacht, und Bonnie hatte sich der Magen umgedreht. Hatte seitdem nicht aufgehört, sich umzudrehen. Während sie jetzt in den Spiegel starrte, überlegte sie, ob sie und Lauren dazu verdammt waren, sich immer wieder gegenseitig anzustecken. Sie verrieb Rouge auf ihren Wangen, aber die Farbe wirkte künstlich. Sie sah damit nicht vitaler aus, eher wie eine hergerichtete Leiche. Ja, genauso, wie eine Leiche, dachte sie.
    In diesem Licht sieht kein Mensch gut aus, sagte sie sich und warf einen gereizten Blick zu den Leuchtröhren an der Decke. Sie steckte das Rouge ein und kramte ihren Lippenstift heraus. Ihre Hand zitterte so stark, als sie sich den Mund malte, daß sie auf der einen Seite über ihre Oberlippe hinausschmierte. Jetzt sehe ich aus wie eine Betrunkene, dachte sie.
    Eine betrunkene Leiche.
    Wie Joan.
    Aber wenigstens geht es Lauren etwas besser, dachte Bonnie erleichtert. Sie hatte den größten Teil des Tages geschlafen, hatte auch Bonnies Anruf gegen Mittag verschlafen, hatte immer noch geschlafen, als Bonnie von der Schule nach Hause gekommen war. Erst als Bonnie wieder weg wollte, zum Elternabend, war sie erwacht und hatte verkündet, sie sei hungrig.
    Als Bonnie gegangen war, hatten Lauren und Rod zusammen am Küchentisch gesessen und zu Abend gegessen. Sam war bereits weg gewesen.
    Bonnie steckte den Lippenstift ein, schloß ihre Handtasche und strich sich das Haar hinter die Ohren. Ich kann’s auch nicht ändern, wenn ich aussehe wie ich aussehe, dachte sie, trat in den Korridor hinaus und ging die Treppe hinauf zu ihrem Klassenzimmer. Sie hoffte, daß nicht allzu viele Eltern kommen würden. Vielleicht konnte sie dann früher nach Hause gehen, sich ins Bett legen und ihre Krankheit mit Schlaf kurieren wie Lauren, um morgen frisch und rosig und mit gesundem Appetit wieder zu erwachen. Als sie ihr Klassenzimmer erreichte, sperrte sie die Tür auf, ging hinein und knipste das Licht an. Sie sah sich einmal kurz um, alles schien in Ordnung zu sein.
    Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Zwei Minuten vor sieben. Vielleicht würde sie tatsächlich so viel Glück haben, und es würde gar niemand kommen.
    »Mrs. Wheeler?«
    Bonnie drehte sich um. An der Tür standen ein Mann und eine Frau, beide um einiges über das Alter hinaus, das man bei Eltern von Teenagern erwarten würde. Sie waren einfach gekleidet, hatten beide braunes, von Grau durchzogenes Haar und ernste Gesichter.
    »Ja«, antwortete Bonnie. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Wir sind Bob und Lillian Reilly«, sagte die Frau.
    Bonnie starrte sie verständnislos an. Sie hatte keinen Schüler und keine Schülerin namens Reilly.
    »Die Großeltern von Harold Gleason«,

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