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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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noch. Ich wollte seine Bude.«
    »Du tätest gut dran, zu ihm zu gehen, ich glaube, er hat einen Interessenten. Er zögert, weil der Typ verrückt nach Lizbeth ist.«
    »Warum soll ich zu ihm gehen, Bertin? Der alte Angeber hält mich für einen Rohling.«
    »Das muß man verstehen, Joss. Er ist nie zur See gefahren. Übrigens, bist du etwa kein Rohling?«
    »Ich habe nie das Gegenteil behauptet.«
    »Siehst du. Decambrais kennt sich aus. Sag, Joss, hast du deine Anzeige 19 verstanden?«
    »Nein.«
    »Ich fand sie speziell, genauso speziell wie die anderen in den letzten Tagen.«
    »Sehr speziell. Ich mag diese Anzeigen nicht.«
    »Warum liest du sie dann vor?«
    »Weil sie bezahlt sind, und zwar gut bezahlt. Und wir Le Guerns sind vielleicht Rohlinge, aber noch lange keine Gauner.«
     

4
    »Ich frage mich«, sagte Kommissar Adamsberg, »ob ich durch mein ständiges Bulle-Sein nicht langsam zum Bullen werde.«
    »Das haben Sie schon mal gesagt«, bemerkte Danglard, der das künftige Ordnungssystem seines Metallschranks plante.
    Danglard hatte erklärtermaßen die Absicht, auf einer durchdachten Grundlage zu beginnen. Adamsberg, der keinerlei Absicht hatte, hatte seine Akten auf den Stühlen neben seinem Schreibtisch verteilt.
    »Wie denken Sie darüber?«
    »Daß das nach fünfundzwanzig Berufsjahren vielleicht eine gute Sache wäre.«
     
    Adamsberg steckte die Hände in die Taschen und lehnte sich mit dem Rücken an die kürzlich gestrichene Wand, während er seinen Blick ziellos durch die neuen Räume schweifen ließ, in denen er vor nicht ganz einem Monat Fuß gefaßt hatte. Neue Räume, neues Einsatzgebiet, Strafverfolgungsbrigade der Polizeipräfektur von Paris, Referat Delikte am Menschen. Schluß mit Einbrüchen, Handtaschendiebstählen, Tätlichkeiten, bewaffneten Typen, entwaffneten Typen, aggressiv oder nicht, und mit kiloweise diesbezüglichem Papierkram verbunden. »Diesbezüglich«, das hatte er sich schon zweimal selbst sagen hören in letzter Zeit. Das machte das ständige Bulle-Sein. Nicht daß die Kilos von diesbezüglichem Papierkram ihn nicht hierher oder anderswohin verfolgen würden. Aber hier genau wie anderswo würde er auf Menschen stoßen, die Papier mochten. Als er in jungen Jahren die Pyrenäen verlassen hatte, hatte er entdeckt, daß es solche Menschen gab, und er hatte großen Respekt, ein bißchen Trauer und gewaltige Dankbarkeit für sie empfunden. Er selbst mochte vor allem Gehen, Träumen und Tun, und er wußte, daß zahlreiche Kollegen ihn daher mit ein wenig Respekt und sehr viel Trauer betrachtet hatten. »Das Papier«, so hatte ihm einmal ein eifriger Kerl erklärt, »das Aufsetzen von Schriftstücken, das Protokoll stehen am Beginn jeglicher Idee. Kein Papier, keine Idee. Das Wort treibt die Idee in die Höhe, wie der Humus die Erbse emporwachsen läßt. Ein Vorgang ohne Papier - und schon stirbt eine Erbse mehr auf der Welt.«
    Gut, seitdem er Bulle war, hatte er vermutlich ganzen LKWs voller Erbsen den Tod gebracht. Aber am Ende seines Umherschlenderns hatte er oft gespürt, wie irritierende Gedanken an die Oberfläche drangen. Gedanken, die zweifellos eher Algenbündeln glichen als Erbsen, aber Pflanzliches blieb Pflanzliches, und Idee blieb Idee, und niemand fragte einen, wenn man sie einmal formuliert hatte, ob man sie auf einem bestellten Feld gepflückt oder in einem Schlammloch aufgelesen hatte. So weit, so gut, es war unzweifelhaft, daß sein Stellvertreter Danglard, der Papier in allen Formen liebte, von der höchsten bis zur bescheidensten - in Bündeln, in Büchern, in Rollen, in Blättern, von Inkunabeln bis zum Wischpapier -, ein Mann war, der einem Qualitätserbsen lieferte. Danglard war ein konzentrierter Mann, der nachdachte, ohne zu laufen, ein ängstlicher Mensch mit weichlichem Körper, der schrieb und dabei trank und der, allein unter Zuhilfenahme seiner Trägheit, seines Biers, seines abgekauten Bleistifts und seiner etwas müden Neugier Ideen in Marschordnung und von ganz anderer Art als die seinen hervorbrachte.
    An dieser Front hatten sie sich oft gegenübergestanden: Danglard, der allein die aus überlegendem Denken hervorgegangene Idee für schätzenswert und jede Art formloser Intuition für suspekt hielt, und Adamsberg, der gar nichts für etwas hielt und nicht versuchte, das eine vom anderen zu unterscheiden. Als er zur Strafverfolgungsbrigade versetzt worden war, hatte Adamsberg darauf bestanden, den ausdauernden, präzisen Geist von Oberleutnant

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