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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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fertig, weiter nichts. Ein schlechter Scherz in ihrem Haus, oder einfach ein paar Graffiti. Sie braucht nur ein bißchen Zuwendung.«
    »Wir sind hier doch nicht die Sozialstation«, bemerkte Noèl und schloß mit einer knappen Bewegung seinen Blouson.
    »Und warum nicht, Oberleutnant...«
    »Noèl«, ergänzte der Mann.
    »Noèl«, wiederholte Adamsberg und versuchte sich das Gesicht einzuprägen. Eckiger Kopf, helle Haut, blonder Bürstenschnitt und deutlich sichtbare Ohren gleich Noèl. Müdigkeit, Überheblichkeit, möglicherweise Brutalität gleich Noèl. Ohren, Brutalität, Noèl.
    »Wir reden später darüber, Oberleutnant Noèl«, sagte Adamsberg. »Sie hat es eilig.«
    »Wenn's darum geht, Madame beizustehen«, mischte sich ein Kommissar ein, den Adamsberg genausowenig kannte, »melde ich mich freiwillig. Ich hab mein Werkzeug dabei«, fügte er grinsend hinzu, die Hände am Gürtel.
    Adamsberg drehte sich langsam um.
    »Brigadier Favre«, verkündete der Mann.
    »Sie werden hier ein paar Entdeckungen machen, die Sie erstaunen werden, Brigadier Favre«, sagte Adamsberg mit ruhiger Stimme. »Hier sind Frauen kein Rundmuskel mit Loch drin, und sollte diese Information Sie überraschen, scheuen Sie sich nicht, mehr darüber herausfinden zu wollen. Weiter unten finden Sie Beine und Füße, weiter oben einen Oberkörper und einen Kopf. Versuchen Sie darüber nachzudenken, Favre, wenn Sie dazu in der Lage sind.«
    Adamsberg ging in sein Büro und bemühte sich, die Gesichtszüge des Brigadiers zusammenzufassen. Volle Wangen, dicke Nase, dichte Augenbrauen, Idiotengesicht gleich Favre. Nase, Augenbrauen, Frauen, Favre.
    »Erzählen Sie«, sagte er und lehnte sich an die Wand in seinem Büro, der jungen Frau gegenüber, die sich vorsichtig auf die Kante eines Stuhls gesetzt hatte. »Sie haben Kinder, sind alleinstehend, wo wohnen Sie?«
    Adamsberg kritzelte die Antworten, Name und Adresse, in ein Notizbuch, um Maryse zu beruhigen.
    »Diese Vieren wurden auf die Türen gemalt, ist das richtig? Alle in derselben Nacht?«
    »O ja. Gestern morgen waren sie auf allen Türen. So groß«, fügte sie hinzu und breitete die Arme etwa sechzig Zentimeter aus.
    »Keine Signatur? Kein Kürzel?«
    »Doch, doch. Darunter stehen drei Buchstaben, sehr viel kleiner gemalt. CTL. Nein. CLT.«
    Adamsberg notierte. CLT.
    »Auch schwarz?«
    »Auch.«
    »Nichts weiter? Nichts auf der Fassade? Im Treppenhaus?«
    »Nur auf den Wohnungstüren. Schwarz.«
    »Ist die Ziffer nicht ein bißchen verformt? Sagen wir wie ein Zeichen?«
    »O ja. Ich kann sie Ihnen aufzeichnen, ich bin nicht ungeschickt.«
    Adamsberg streckte ihr sein Notizbuch hin, und Maryse mühte sich, eine große, geschlossene Vier in Druckschrift zu zeichnen, mit kräftigem Strich, einem Tatzenfuß wie bei einem Malteserkreuz und zwei Querstrichen am Ende.
    »Da«, sagte sie.
    »Sie haben sie spiegelverkehrt gezeichnet«, bemerkte Adamsberg sanft, als er das Notizbuch zurücknahm.
    »Weil sie spiegelverkehrt ist. Sie ist spiegelverkehrt, unten breit und hat zwei kleine Querstriche am Ende. Kennen Sie das? Ist das ein Gaunerzinken? CLT? Oder was?«
    »Einbrecher markieren Türen so unauffällig wie möglich. Was erschreckt Sie daran?«
    »Die Geschichte von Ali Baba, glaube ich. Der Mörder, der alle Türen mit einem großen Kreuz markiert hat.«
    »In der Geschichte hat er nur eine einzige markiert. Die Frau von Ali Baba hat die anderen markiert, um ihn irrezuführen, wenn ich mich nicht täusche.«
    »Stimmt«, sagte Maryse erleichtert.
    »Es ist ein Graffito«, erklärte Adamsberg, als er sie zur Tür zurückführte. »Wahrscheinlich Kinder aus der Nachbarschaft.«
    »Ich hab diese Vier noch nie im Viertel gesehen«, sagte Maryse leise. »Und ich habe noch nie Graffiti auf Wohnungstüren gesehen. Denn Graffiti sind doch dazu da, daß alle sie sehen, oder?«
    »Es gibt da keine Regel. Waschen Sie sie ab, und denken Sie nicht mehr daran.«
     
    Nachdem Maryse gegangen war, riß Adamsberg die Blätter aus dem Notizbuch, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. Dann lehnte er sich wieder gegen die Wand und sann über Möglichkeiten nach, Typen wie diesem Favre den Kopf zu waschen. Keine einfache Sache, ein tiefsitzender Mangel an Form, dem Betreffenden kaum bewußt. Es war nur zu hoffen, daß nicht die ganze Abteilung Kapitalverbrechen vom gleichen Schlage war. Um so mehr, als vier Frauen darunter waren.
    Wie jedesmal, wenn er zu meditieren anfing, glitt er schnell ab

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