Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Schnallenstiefel, ungefähr die gleichen, die Camille trug.
    »Wenn Sie ein vertrauliches Gespräch wünschen«, sagte er zu Adamsberg, »so müssen wir rausgehen, fürchte ich.«
    »Es wird schon gehen«, erwiderte Adamsberg.
    »Sie haben ein Problem mit der Pest, Kommissar?«
    »Genauer gesagt, ein Problem mit einem Kenner der Pest.«
    »Mit dem, der diese Vieren zeichnet?«
    »Ja.«
    »Besteht ein Zusammenhang mit dem Mord von gestern?«
    »Was glauben Sie?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Wegen?«
    »Der schwarzen Haut. Aber die Vier gilt als Schutz vor der Pest und nicht als Verursacher.«
    »Also?«
    »Also vermute ich, daß Ihr Opfer nicht geschützt war.«
    »Das ist richtig. Glauben Sie an die Macht dieser Ziffer?«
    »Nein.«
    Adamsberg blickte Vandoosler in die Augen. Er wirkte aufrichtig und auf unbestimmte Art beleidigt.
    »Nicht mehr als an Amulette, Ringe, Türkise, Smaragde, Rubine oder die hunderterlei anderen Talismane, die erfunden wurden, um sich vor der Pest zu schützen, und die natürlich erheblich teurer sind als eine einfache Vier.«
    »Trug man Ringe dagegen?«
    »Wenn man über die entsprechenden Mittel verfügte. Die Reichen starben selten an der Pest. Ohne es zu wissen, waren sie durch ihre soliden Häuser, die von den Ratten verschont blieben, geschützt. Das einfache Volk mußte dran glauben. Also glaubte man erst recht an die Macht der Edelsteine: Die Armen trugen keine Rubine, und sie starben. Das Non plus ultra war der Diamant, der Schutz par excellence: ›Dem an der linken Hand getragenen Diamanten wird die Macht zugeschrieben, alle möglichen Entwicklungen unwirksam zu machen.‹ So gewöhnten sich die reichen Männer an, ihrer Verlobten als Liebespfand einen Diamanten zu schenken, um sie vor der Geißel zu schützen. Der Diamant ist geblieben, aber niemand weiß mehr, warum, genausowenig wie man sich noch an die Bedeutung der Vieren erinnert.«
    »Der Mörder erinnert sich daran. Wo hat er das finden können?«
    »In Büchern«, erwiderte Marc Vandoosler mit einer gewissen Ungeduld. »Wenn Sie mir das Problem darstellen würden, könnte ich Ihnen vielleicht helfen, Kommissar.«
    »Ich muß Sie zunächst fragen, wo Sie Montag nacht gegen zwei Uhr morgens waren.«
    »Ist das die Tatzeit?«
    »Ungefähr.«
    Der Gerichtsmediziner hatte als Tatzeit etwa ein Uhr dreißig festgestellt, aber Adamsberg ließ lieber Spielraum. Vandoosler strich sich sein glattes Haar hinter die Ohren.
    »Warum ich?« fragte er.
    »Tut mir leid, Vandoosler. Nur wenige kennen die Bedeutung dieser Vier, sehr wenige.«
    »Das ist logisch, Marc«, warf Vandoosler der Altere ein. »Das ist sein Job.«
    Marc machte eine verärgerte Geste. Dann stand er auf, griff nach dem Besenstiel und stieß einmal gegen die Decke.
    »Abstieg des heiligen Matthäus«, erklärte der Alte.
    Die Männer warteten schweigend ab, nur durch den Lärm gestört, den Lucien machte, der sich von dem Gespräch abgewandt hatte und Geschirr spülte.
    Eine Minute später trat ein sehr großer blonder Mann ein, der so breit war wie die Tür und nur eine grobe Leinenhose trug, die an der Taille von einem Strick zusammengehalten wurde.
    »Man hat mich gerufen?« fragte er mit Baßstimme.
    »Mathias«, fragte Marc, »was habe ich Montag nacht um zwei Uhr morgens gemacht? Es ist wichtig, niemand sagt vor.«
    Mathias konzentrierte sich ein paar Augenblicke und runzelte die hellen Augenbrauen.
    »Du bist ziemlich spät mit Bügelwäsche nach Hause gekommen, so gegen zehn. Lucien hat dir was zu essen gemacht, dann ist er mit Elodie in sein Zimmer gegangen.«
    »Emilie«, korrigierte Lucien und drehte sich um. »Es ist doch wirklich schrecklich, daß ihr ihren Namen nicht in den Kopf kriegt.«
    »Wir haben zwei Partien Karten mit dem Paten gespielt«, fuhr Mathias fort, »er hat dreihundertzwanzig Francs eingesackt und ist dann schlafen gegangen. Du hast angefangen, die Wäsche von Madame Boulain zu bügeln, dann die von Madame Druyet. Als du um eins das Bügelbrett weggeräumt hast, ist dir eingefallen, daß du am nächsten Morgen zwei Paar Laken abliefern solltest. Ich habe dir geholfen, und wir haben sie zu zweit auf dem Tisch gebügelt. Ich habe das alte Bügeleisen genommen. Um halb drei waren wir fertig mit Zusammenlegen und haben zwei getrennte Pakete daraus gemacht. Als wir zum Schlafen hochgegangen sind, sind wir dem Paten begegnet, der zum Pinkeln runterging.«
    Mathias hob den Kopf.
    »Er ist Prähistoriker«, bemerkte Lucien von der Spüle aus.

Weitere Kostenlose Bücher