Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
gefragt, was er von Eisbären halte.
    »Ich rufe das Labor an«, sagte Adamsberg.
    Er ging beiseite, um zu telefonieren, und Marc bedeutete Lucien, beim Aufräumen der Teller nicht solchen Lärm zu machen.
    »Ja, ganz richtig«, bestätigte Adamsberg. »Sind Sie mit der Untersuchung fertig? Was sagen Sie? Wie heißen die? Buchstabieren Sie, verdammt.«
    Adamsberg notierte ein N, dann ein O, dann kam er ins Stocken. Marc nahm ihm den Stift aus der Hand und vervollständigte das begonnene Wort: Nosopsyllus fasciatus. Dann setzte er ein Fragezeichen dahinter. Adamsberg nickte.
    »O.k., ich habe den Namen«, sagte er dem Entomologen.
    Marc hatte dahintergeschrieben: »Sind sie infiziert?«
    »Bringen Sie sie in die Bakteriologie«, fügte Adamsberg hinzu. »Suchen Sie nach dem Pestbazillus. Sagen Sie den Leuten, sie sollen sich beeilen, einer meiner Männer ist schon gebissen worden. Und bitte, verlieren Sie sie bloß nicht im Labor. Ja, unter derselben Nummer. Die ganze Nacht.«
    Adamsberg steckte das Handy in seine Jackeninnentasche.
    »In der Kleidung meines Stellvertreters befanden sich zwei Flöhe. Es waren keine Menschenflöhe. Es waren...«
    »Nosopsyllus fasciatus, Rattenflöhe«, ergänzte Marc.
    »In dem Umschlag, den ich bei dem Toten mitgenommen habe, lag noch ein weiterer, toter. Dieselbe Gattung.«
    »Auf diese Weise schafft er sie in die Wohnung.«
    »Ja«, bemerkte Adamsberg und ging seinerseits auf und ab. »Er öffnet den Umschlag und läßt die Flöhe in der Wohnung frei. Aber ich glaube nicht, daß diese verdammten Flöhe infiziert sind. Ich glaube, er agiert weiterhin auf der symbolischen Ebene.«
    »Immerhin treibt er es dabei so weit, daß er sich Rattenflöhe besorgt. Es ist gar nicht so einfach, welche zu bekommen.«
    »Ich glaube, er blufft nur, deshalb tötet er selbst. Er weiß, daß seine Flöhe nicht töten können.«
    »Das ist nicht sicher. Es wäre ganz in Ihrem Interesse, alle Flöhe einzusammeln, die bei Laurion herumspringen.«
    »Und wie mache ich das?«
    »Das einfachste ist, ein oder zwei Meerschweinchen fünf Minuten in der Wohnung herumlaufen zu lassen. Die werden sich alles einfangen, was da rumspringt. Dann packen Sie sie schnell in einen Beutel und bringen sie ins Labor. Unmittelbar danach müssen die Räumlichkeiten desinfiziert werden. Lassen Sie das Meerschweinchen aber nicht zu lange herumlaufen. Die Flöhe neigen dazu, abzuhauen und einen Spaziergang zu machen, sobald sie gebissen haben. Man muß sie während ihrer Mahlzeit schnappen.«
    »Gut«, sagte Adamsberg und notierte sich die Strategie. »Danke für Ihre Hilfe, Vandoosler.«
    »Zwei Dinge noch«, sagte Marc auf dem Weg zur Tür. »Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Ihr Pestbereiter sich mit der Pest gar nicht so gut auskennt. Seine Bildung hat Grenzen.«
    »Irrt er sich?«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »Bei der Kohle, dem ›Schwarzen Tod‹. Das ist ein Bild, eine Begriffsverwechslung. Pestis atra bedeutete ›schrecklicher Tod‹ und nicht ›schwarzer Tod‹. Die Leichen der Pestopfer sind nie schwarz gewesen. Ein paar bläuliche Flecken hier und da, wenn überhaupt. Das ist ein spät aufgekommener Mythos, ein populärer und weitverbreiteter Irrtum. Alle glauben es, aber es ist trotzdem falsch. Wenn Ihr Mann die Leiche mit Kohle einreibt, täuscht er sich. Er begeht sogar einen gewaltigen Schnitzer.«
    »Aha«, erwiderte Adamsberg.
    »Bewahren Sie einen kühlen Kopf, Kommissar«, sagte Lucien, der das Zimmer verließ. »Marc ist pedantisch wie alle Mediävisten. Er verliert sich in den Einzelheiten und übersieht das Wesentliche.«
    »Und das wäre?«
    »Na, die Gewalt, Kommissar. Die menschliche Gewalt.«
    Marc lächelte und trat zur Seite, um Lucien hinausgehen zu lassen.
    »Was macht Ihr Freund?« fragte Adamsberg.
    »Sein Hauptberuf besteht darin, die Leute zu ärgern, aber das wird nicht bezahlt. Diese Tätigkeit übt er ehrenamtlich aus. In zweiter Linie ist er Zeitgeschichtler, Spezialist für den Ersten Weltkrieg. Wir haben große Epochen-Konflikte.«
    »Ach so, gut. Und das zweite, was Sie mir sagen wollten?«
    »Sie suchen doch einen Kerl, dessen Initialen CLT lauten sollen?«
    »Das ist eine ernst zu nehmende Spur.«
    »Lassen Sie es bleiben. CLT ist schlicht und einfach die Abkürzung des berühmten Elektuariums der drei Adverbien.«
    »Wie bitte?«
    »Praktisch alle Abhandlungen über die Pest führen das als den wirksamsten Ratschlag an: Cito, longe fugeas et tarde redeas. Das heißt: Fliehe schnell,

Weitere Kostenlose Bücher