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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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nachtragend. Aber Rene Laurion hat offenbar nie einen Fuß in ein Hafenamt gesetzt.«
    »Vielleicht sucht er sich Ersatzopfer. Alles schon dagewesen. Immerhin hätte Le Guern reichlich Gelegenheit, sich die Botschaften selbst zu schicken, nicht? Übrigens kommen keine ›Speziellen‹ mehr, seitdem wir den Platz beobachten. Und Le Guern wußte als erster davon.«
    »Er war nicht der einzige, der wußte, daß die Bullen da sind. Um neun Uhr abends wußten im Viking schon alle Bescheid.«
    »Wie hätte der Mörder das erfahren sollen, wenn er nicht im Viertel wohnt?«
    »Er hat einen Mord begangen, da kann er sich wohl denken, daß die Bullen im Großeinsatz sind. Er hat gesehen, daß sie, scheinbar gut getarnt, auf einer Bank saßen.«
    »Also überwachen wir den Platz am Ende umsonst?«
    »Wir überwachen ihn aus Prinzip. Und noch aus einem anderen Grund.«
    »Warum hat Decambrais-Ducouèdic gesessen?«
    »Wegen der versuchten Vergewaltigung einer Minderjährigen in der Schule, in der er unterrichtete. Die gesamte Presse ist damals über ihn hergefallen. Mit zweiundfünfzig wäre er auf offener Straße beinahe gelyncht worden. Er brauchte bis zum Prozeß Polizeischutz.«
    »Der Fall Ducouèdic, ich erinnere mich. Ein Mädchen, das auf der Toilette überfallen wurde. Man würde es nicht glauben, nicht wahr? Wenn man ihn sieht?«
    »Erinnern Sie sich an seine Verteidigung, Danglard. Drei Schüler der elften Klasse sollen sich auf ein zwölfjähriges Mädchen gestürzt haben, als niemand in der Schulkantine war. Ducouèdic will die Kerle heftig geschlagen und die Kleine geschnappt und mit ihr den Raum verlassen haben. Im Gang hielt er das halbnackte brüllende Mädchen in den Armen. Das haben die anderen Kinder gesehen. Die drei Kerle haben eine umgekehrte Version der Fakten präsentiert: Ducouèdic hat das Mädchen vergewaltigt, sie haben eingegriffen, worauf Ducouèdic sie geschlagen und die Kleine rausgezerrt hat, um zu fliehen. Aussage gegen Aussage. Darüber ist Ducouèdic gestürzt. Seine Freundin hat ihn auf der Stelle sitzenlassen, und die Kollegen haben sich von ihm abgewandt. Es war der Zweifel. Der Zweifel schafft Abgründe, Danglard, und der Zweifel bleibt. Das ist der Grund, weshalb er sich Decambrais nennt. Er ist ein Mann, der sein Leben mit zweiundfünfzig beendet hat.«
    »Wie alt wären diese drei Kerle heute? Ungefähr zweiunddreißig, dreiunddreißig? So alt wie Laurion?«
    »Laurion war Schüler in Périgueux. Ducouèdic unterrichtete in Vannes.«
    »Er kann sich Ersatzopfer suchen.«
    »Schon wieder?«
    »Na und? Kennen Sie keine alten Männer, die eine ganze Generation verabscheuen?«
    »Ich kenne zu viele davon.«
    »Wir müssen die beiden Kerle weiter unter die Lupe nehmen. Decambrais hat die beste Gelegenheit, die Nachrichten einzuwerfen, und geradezu perfekte Möglichkeiten, sie zu verfassen. Immerhin war er es, der hinter ihre Bedeutung gekommen ist. Durch ein kleines arabisches Wort, das ihn direkt auf die Fährte des Canon medicinae von Avicenna gebracht hat. Gut, was?«
    »Beobachten müssen wir so oder so. Ich bin überzeugt, daß der Mörder sich unter Le Guerns Zuhörern befindet. Von dort ist er ausgegangen, denn schließlich konnte er sich seine Mittel nicht aussuchen, das ist klar. Aber auch, weil er die Urne seit langem kannte. Diese Ausruferei kommt uns unpassend vor, ist aber für ihn ein ganz natürliches Mittel zur Verbreitung von Nachrichten, wie für alle im Viertel. Dessen bin ich mir sicher. Und ich bin überzeugt, daß er kommt, um seine Nachrichten zu hören, ich bin sicher, daß er sich unter das Publikum mischt.«
    »Dazu hat er keinen Grund«, wandte Danglard ein. »Und es ist gefährlich.«
    »Er hat keinen Grund, aber das ist egal, Danglard, ich glaube, er ist da, in der Menge. Deshalb werden wir den Platz weiter überwachen.«
    Adamsberg verließ das Büro, durchquerte den großen Saal und baute sich vor dem Stadtplan auf. Die Polizisten folgten ihm mit den Augen, doch Adamsberg merkte, daß nicht er, sondern Danglard - gehüllt in ein weites schwarzes T-Shirt mit kurzen Ärmeln - das Interesse aller auf sich zog. Er hob den rechten Arm, und alle Blicke wandten sich wieder ihm zu.
    »Um achtzehn Uhr erfolgt die Evakuierung der Räumlichkeiten zwecks Desinfizierung«, sagte er. »Wenn Sie nach Hause kommen, duschen Sie, jeder von Ihnen, waschen sich auch die Haare und stecken all Ihre Kleidungsstücke, ich sage: wirklich alle, bei sechzig Grad in die Waschmaschine.

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