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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Das ist die wahre Plage der Menschheit, sie hat mehr Tote auf dem Gewissen als alle Pestepidemien zusammen. Versuchen Sie, diesen Pestbereiter zu erwischen, bevor man Sie rausschmeißt, Kommissar. Ich weiß nicht, ob er sich seines Tuns bewußt ist, aber er verursacht einen gewaltigen Schaden, indem er das Volk von Paris auf die niedrigste Stufe seiner selbst zurückstößt.«
    Nachdenklich lächelnd legte Adamsberg auf. ›Sich seines Tuns bewußt‹ sein. Decambrais hatte an etwas gerührt, das ihn seit dem Vorabend beschäftigte und zu einer Spur geworden war, der er ganz behutsam zu folgen begann. Den Text der ›Speziellen‹ vor Augen, wählte er zum zweitenmal Vandooslers Nummer, während Justin/Voisenet die Tür öffnete und ihm mit Gesten bedeutete, die Anzahl der mit Vieren versehenen Gebäude habe jetzt die Zahl siebenhundert erreicht. Adamsberg gab ihm mit einer Bewegung der Augenbrauen zu verstehen, daß er begriffen habe. Er vermutete, daß sie bei dieser Geschwindigkeit noch vor dem Abend die Tausendermarke erreicht haben würden.
    »Vandoosler? Hier noch mal Adamsberg. Ich lese Ihnen die ›Spezielle‹ von heute morgen vor, haben Sie Zeit? Es dauert ein bißchen.«
    »Fangen Sie an.«
    Marc hörte aufmerksam zu, wie Adamsberg mit sanfter Stimme das unmittelbar bevorstehende große Unglück beschrieb, das in der Person des jungen Eissalene über die Stadt kam.
    »Und?« fragte Adamsberg, als er fertig war, so als konsultiere er ein Wörterbuch. Es schien ihm unmöglich, daß Marc Vandooslers Kesselwagen ihm nicht die Lösung für diese neue Botschaft liefern würde.
    »Marseille«, sagte Marc entschieden. »Die Pest erreicht Marseille.«
    Adamsberg hatte sich auf ein Ablenkungsmanöver des Pestbereiters gefaßt gemacht, da sein Text einen neuen Ausbruch der Krankheit beschrieb, nicht aber darauf, daß die Seuche Paris verließ.
    »Sind Sie sich da ganz sicher, Vandoosler?«
    »Ganz sicher. Es geht um die Grand Saint-Antoine, die am 25. Mai 1720 die Inseln des Château d'If erreichte, ein Schiff, das aus Syrien und Zypern kam, beladen mit infizierten Seidenballen, und eine Mannschaft an Bord hatte, die von der Krankheit bereits dezimiert war. Die hier ausgelassenen Namen der Ärzte lauten Vater und Sohn Peissonel, sie waren diejenigen, die damals Alarm schlugen. Der Text ist berühmt, und die Epidemie ebenfalls, ein Desaster, das fast die halbe Stadt dahinraffte.«
    »Wissen Sie, wo die Ärzte diesen Jungen, diesen Eissalene, untersucht haben?«
    »An der Place Linche, der heutigen Place de Lenche, hinter dem nördlichen Kai des Alten Hafens. Das Zentrum der Epidemie verwüstete die Rue de l'Escale. Die Straße gibt es heute nicht mehr.«
    »Ist da kein Irrtum möglich?«
    »Nein. Es ist Marseille. Ich kann Ihnen eine Kopie des Originaltextes schicken, wenn Sie sich vergewissern wollen.«
    »Das wird nicht nötig sein, Vandoosler. Ich danke Ihnen.«
     
    Aufgerüttelt verließ Adamsberg sein Büro. Er ging zu Danglard, der genau wie seine dreißig Kollegen versuchte, der vielen Anrufe Herr zu werden und den immer heftiger tosenden Wirbelsturm des Aberglaubens statistisch zu erfassen. Der große Saal roch nach Bier und vor allem nach Schweiß.
    »Bald gibt es nicht einen Farbtopf mehr in der ganzen Stadt«, erklärte Danglard, legte den Hörer auf und notierte eine Zahl.
    Dann hob er den Kopf und sah Adamsberg an. Auf seiner Stirn glänzte der Schweiß.
    »Marseille«, sagte Adamsberg und hielt ihm den Text der ›Speziellen‹ unter die Nase. »Der Pestbereiter hebt ab. Wir werden reisen, Danglard.«
    »Verdammt«, stöhnte Danglard, nachdem er den Text rasch überflogen hatte. »Die Ankunft der Grand Saint-Antoine. «
    »Kannten Sie die Passage?«
    »Jetzt, wo Sie mir den Ort sagen, erkenne ich sie wieder. Ich weiß nicht, ob ich sie sofort entschlüsselt hätte.«
    »Ist sie bekannter als die anderen?«
    »Bestimmt. Es war die letzte Epidemie in Frankreich, aber sie war furchtbar.«
    »Nicht die letzte«, bemerkte Adamsberg und hielt ihm den Artikel über die Krankheit Nr. 9 hin. »Lesen Sie das, und Sie werden verstehen, warum man spätestens heute abend keinen einzigen Pariser mehr finden wird, der dem Wort eines Bullen noch Glauben schenkt.«
    Danglard las und nickte.
    »Das ist eine Katastrophe«, sagte er.
    »Verwenden Sie dieses Wort nicht mehr, ich flehe Sie an, Danglard. Verbinden Sie mich mit dem Kollegen, der in Marseille für den Sektor Alter Hafen zuständig ist.«
    »Alter Hafen, das ist

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