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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Masséna«, murmelte Danglard, der die General- und Hauptkommissare des gesamten Landes ebensogut kannte wie die Hauptorte der Arrondissements. »Ein annehmbarer Kerl, nicht so ein Rohling wie sein Vorgänger, der am Ende wegen Körperverletzung und der erklärten Absicht, die Araber Blut pissen zu lassen, degradiert wurde. Masséna ist an seine Stelle getreten, und er ist korrekt.«
    »Das ist mir nur recht«, sagte Adamsberg, »denn wir werden kooperieren müssen.«
     
    Um fünf nach sechs stand Adamsberg auf der Place Edgar-Quinet, um dem Abendausrufen zu lauschen, das nichts Neues brachte. Seitdem der Pestbereiter auf die Post angewiesen war, um seine Nachrichten in die Urne zu befördern, war er zeitlich eingeschränkt. Adamsberg wußte das und war nur gekommen, um die Gesichter der Leute zu beobachten, die sich um Le Guern scharten. Das Gedränge war erheblich größer als an den vorausgegangenen Tagen, und viele reckten die Hälse, um zu sehen, wie dieser ›Ausrufer‹ aussah, dessen Mund die Seuche verkündet hatte. Die beiden auf dem Platz stationierten Beamten hatten den zusätzlichen Auftrag erhalten, auf die Sicherheit von Joss Le Guern zu achten, für den Fall, daß es während des Ausrufens zu Feindseligkeiten kommen sollte.
    Adamsberg hatte sich nahe dem Podest an einen Baum gelehnt, und Decambrais kommentierte die vertrauten Gesichter für ihn. Etwa vierzig Personen hatte er bereits auf einer Liste festgehalten, die er in drei Kategorien, Unermüdliche, Stammgäste und Unbeständige, aufgeteilt und mit, wie Le Guern zu sagen pflegte, diesbezüglichen Beschreibungen des äußeren Erscheinungsbildes versehen hatte. Die Namen der Leute, die die Blätter aus der Geschichte Frankreichs nutzten, um Wetten über den Ausgang der Schiffbrüche vor dem Finistère abzuschließen, hatte er rot unterstrichen, blau die Schnellen, die sofort nach Ende des Ausrufens wieder zur Arbeit gingen, gelb die Nachhut, die dablieb, um auf dem Platz oder im Viking zu diskutieren, und lila die regelmäßigen Besucher, die von den Marktzeiten abhängig waren. Er hatte saubere, präzise Arbeit geleistet. Mit dem Blatt in der Hand deutete Decambrais so unauffällig wie möglich auf die entsprechenden Gesichter, die Adamsberg sich einzuprägen versuchte.
    »Carmella, österreichischer Dreimaster, 405 Tonnen, unbefrachtet von Bordeaux aus mit Ziel Cardiff in See gestochen, hat vor Gazkar-Vilers Schiffbruch erlitten. Mannschaft: 14 Mann, gerettet«, endete Joss und sprang von seinem Podest.
    »Schnell, sehen Sie«, sagte Decambrais. »All die, die jetzt verblüfft sind und die Stirn runzeln, all die, die nichts verstehen, sind Neue.«
    »Neulinge«, bemerkte Adamsberg.
    »Ganz genau. Und die, die diskutieren, den Kopf schütteln, gestikulieren, gehören zum Stammpublikum.«
    Decambrais verließ Adamsberg, um Lizbeth beim Putzen der grünen Bohnen zu helfen, die sie stiegenweise zu einem günstigen Preis erworben hatten, und Adamsberg betrat das Viking und zwängte sich unter dem geschnitzten Bug des Drachenbootes hindurch, um sich an den Tisch zu setzen, den er bereits als den seinen ansah. Die Schiffbruch-Wettenden waren an der Bar versammelt, und Münzen wechselten geräuschvoll den Besitzer. Bertin führte die Wettliste, damit nicht geschummelt wurde. Aufgrund seiner göttlichen Vorfahren wurde Bertin allgemein für einen sicheren Mann gehalten, der für Schmiergelder unempfänglich war.
    Adamsberg bestellte einen Kaffee, dann verharrte sein Blick auf dem Profil von Marie-Belle, die am Nebentisch saß und mit großem Eifer einen Brief schrieb. Sie war ein zartes Mädchen, das mit markanteren Lippen fast bezaubernd gewesen wäre. Genau wie ihr Bruder hatte sie dichtes, gelocktes Haar, das ihr über die Schultern fiel, nur daß ihres sauber und blond war. Sie lächelte ihm zu und machte sich wieder an ihr Werk. Neben ihr saß die junge Frau namens Eva, die sich bemühte, ihr zu helfen. Sie war nicht ganz so hübsch, vermutlich, weil ihr die Unbefangenheit fehlte. Eva hatte ein glattes, ernstes Gesicht mit bläulichen Ringen um die Augen, so wie Adamsberg sich eine Romanheldin aus dem 19. Jahrhundert vorstellte, die, von der Außenwelt abgeschlossen, in ihrem holzvertäfelten Haus in der Provinz lebt.
    »Ist das gut so? Glaubst du, daß er das versteht?« fragte Marie-Belle.
    »Es ist gut«, erwiderte Eva, »aber ein bißchen kurz.«
    »Soll ich ihm schreiben, wie das Wetter ist?«
    »Zum Beispiel.«
    Marie-Belle machte sich wieder

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