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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Krankenhaus, auf Spaziergänge, auf den einen oder anderen Kinofilm. Ein paar Freundschaften, platonisch, oberflächlich. Ansonsten bewegt sie sich in ihrem genormten Umfeld.
    Aber dann findet Utes Hochzeit statt, und der Zufall, der die Welt lenkt, beschert Larissa eine Überraschung.
    Ute ist eine Kollegin, eine Ärztin aus der Inneren. Larissa hat keine große Lust, aber sie will auch nicht absagen. Am Arbeitsplatz eine sympathische und normale Kollegin abzugeben, gehört zu ihrer Tarnung. Sie darf auf keinen Fall Unmut oder Aufmerksamkeit erregen, deshalb zwingt sie sich an einem warmen Julitag in ihr blaues Kostüm, steckt ihr Geschenk, eine handgetöpferte Vase, in eine Einkaufstasche und fährt in die Innenstadt.
    Die Gesellschaft wartet vor dem Standesamt. Alle sind guter Laune. Larissa kommt mit anderen Kollegen ins Gespräch. Kurze Zeit später tritt das frisch gebackene Ehepaar heraus, und Jubel bricht aus. Larissa applaudiert wie die anderen, bis ihre Bewegungen mit einem Mal einfrieren. Hinter dem Bräutigam kommt Alex. Im Anzug. Männlich gekleidet und dennoch sehr weiblich. Zu zart für einen dunklen Anzug an einem hellen Sommertag.
    »He, was starrst du so, Larissa? Du kriegst schon auch noch einen!«, frotzelt ein Kollege neben ihr.
    Sie zwingt sich zu einem Lachen, boxt dem Typen in die Seite und stellt sich in die Schlange, um zu gratulieren. Beschwört ihr Herz, nicht in diesem wahnwitzigen Takt zu galoppieren.
    Ute Selb, die jetzt Ute Hofmann heißt, strahlt, wie man es von einer Braut erwartet, und zwinkert Larissa verschwörerisch zu. »Kennst du Klaus?«, fragt sie und stellt ihren Mann vor.
    Larissa drückt ihm die Hand.
    »Und unser Trauzeuge, Alex Finkenstedt. Klaus und Alex kennen sich seit Jahr und Tag. Schon ihre Väter gingen miteinander in die Schule.«
    Larissa lächelt unverbindlich, wie sie hofft, und gibt auch Alex die Hand. Seine Hand ist kühl, zu kühl für den Juli und zu schmal für einen Mann. Als sie sie loslässt, brennen ihre Finger.
    Das Festessen findet auf dem Land statt. Die Tafel ist im Garten des kleinen Gasthofes gedeckt, und Larissa lässt den Anschnitt der Torte, den Sektempfang und alles, was zu einer Hochzeit gehört, über sich ergehen. Sie hält sich an ihre Kollegen und achtet darauf, nicht allein herumzustehen und Abstand zu Alex zu halten. Später, als sie zum Essen Platz nimmt, sieht sie Alex’ Vater. Er sitzt neben dem Vater des Bräutigams am oberen Ende des Tisches, ein grobschlächtiger Typ mit wachen Augen. Alex sitzt neben ihm. Eine kleine, runde Frau hat sich an Alex’ anderer Seite niedergelassen.
    Larissas Kopf arbeitet auf Hochtouren. Finkenstedt. Kein ganz unbekannter Name.
    Gegen Abend wird getanzt. Eine kleine Band spielt schmissige Musik. Nichts Braves, aber auch nichts Aufgesetztes. Walzer, Foxtrott, Jive. Mit ihren 33 Jahren ist Larissa eine attraktive Frau, die das lange Haar immer noch offen trägt und die ersten weißen Strähnen darin hochmütig ignoriert. Es herrscht kein Mangel an Männern, die sie auffordern, und als die Dunkelheit über die Hochzeitsgesellschaft hereinbricht, nur noch die bunten Glühbirnchen und Lampions ihr magisch-kitschiges Licht in die Nacht senden, beginnt Larissa, sich zu entspannen.
    »Möchtest du tanzen?«
    Sie sitzt mit einem Glas Wein am Tisch. Ausnahmsweise allein. Sie ist müde, ganz zufrieden mit dem Abend und melancholisch, weil sie gerade darüber nachgedacht hat, ob man im Westen auch so zu feiern weiß. Später wird sie häufiger darüber nachdenken, dass im Osten die Feste leidenschaftlicher und glanzvoller gewesen sind.
    Larissa weiß nicht, wie lange sie noch hier sein wird. Kann sein, dass morgen der Kontaktmann kommt, mit der Flasche Sekt, für den ›Geburtstag von Matthias‹, einen Matthias, den es nicht gibt, weil er nur Teil eines Codes ist.
    Alex steht vor ihr. Er hat sein Jackett längst abgelegt. Auch die silbergraue Krawatte baumelt nicht mehr vor seiner schmalen Brust. Sein Hemd jedoch ist bis zum Hals zugeknöpft.
    »Na, mach schon, Larissa!«, ruft Ute ihr zu. Sie hat viel getrunken, ist rot im Gesicht wie ein Hummer.
    »Wenn mich schon mal ein jüngerer Mann auffordert, meinst du?«, gibt Larissa zurück. Sie steht auf, lässt sich von Alex auf die Tanzfläche ziehen und beginnt ein belangloses Gespräch über das Fest. Ihre Lippen bewegen sich wie von selbst, während ihr Herz und ihre Lunge in Flammen stehen.
    Alex schweigt. Er führt konzentriert. Als die Musik verklingt,

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