Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
Vom Netzwerk:
nicht weg, Juliane. Irgendetwas in mir musste einfach das Auto anglotzen. Wie es näher und näher kam. Bescheuert.«
    »Das ist in solchen Situationen normal.«
    »Ich will nicht normal sein.«
    »Scherzkekschen«, murmelte sie zärtlich und widmete sich wieder der Straße.
    Die Fahrt durch die dunklen Münchner Vorstädte machte mich schläfrig. Dösend hockte ich auf dem Beifahrersitz. Manchmal schlief ich ein. Wenn in einer Kurve mein Kopf hin und her schlenkerte, schreckte ich hoch.
    Auf eine stille Weise war ich euphorisch. Ich war mal wieder davongekommen.
    »Der Wagen hatte kein Kennzeichen«, fing Juliane an.
    »Was sagst du da?«
    »Er hatte kein Kennzeichen.« Sie dachte natürlich schon wieder logischer als ich. »Da, wo normalerweise die Nummernschilder befestigt sind, war nichts.«
    »Man kann doch nicht einfach ohne Nummernschild rumfahren.«
    »Doch, du Schaf. Er hat es gemacht.«
    »Hast du den Fahrer gesehen?«
    »Ja«, knirschte Juliane. »Ein Kerl mit einem eckigen Gesicht. Sah aus wie Pinochet in seinen besten Jahren.«
    »Pinochet?«
    »Der chilenische Diktator.«
    »Ich weiß, wer Pinochet war.«
    »Sah genauso viereckig aus. Nicht mal die Sonnenbrille fehlte.«
    »Hat die Polizei dir das geglaubt?«
    »Warum sollten sie nicht?«, wunderte sich Juliane. »Es entspricht den Tatsachen. Der Wagen war ein VW  Passat, nicht mehr ganz neu, dunkle Lackierung, aber bei den Lichtverhältnissen konnte ich die Farbe nicht richtig erkennen.«
    »Du bist große Klasse als Zeugin, Juliane!«
    Sie nickte huldvoll. »Besten Dank.«
    Wir fuhren durch Ohlkirchen, das ins nächtliche Koma gesunken war. Nur das Piranha schickte Licht in die Nacht hinaus. Allerdings kamen hierher weniger Einheimische als vielmehr Leute aus München oder Starnberg. Die teuren Autos am Straßenrand zeugten davon. Das Piranha war einmal meine zweite Heimat gewesen. Ich war gern zum Tanzen hingegangen. Dort wurde karibische Musik gespielt, und die Drinks waren legendär. Doch seit letztem Winter hatte ich die Nase voll vom Piranha. Der Barkeeper, einst einer meiner wenigen Freunde, hatte mein Vertrauen in ihn aufs Hinterhältigste missbraucht und mich in Lebensgefahr gebracht. Seitdem mied ich die Kneipe und zog nur noch in München um die Häuser. Ich hatte ja mein WG -Zimmer in Schwabing in der Hohenzollernstraße, und nicht weit davon entfernt wohnte Nero.
    Apropos Nero.
    »Was hat Nero gesagt?«, fragte ich, während Juliane über die schmale Straße steuerte, die zu meinem Haus weit draußen im Grünen führte.
    »Er kommt.«

     

April 1974
    Reinhard Finkenstedt beugt sich über den Stuhl, auf dem Larissa sitzt und die Arme um den Oberkörper schlingt.
    »Es fehlt nur Ihre Unterschrift.«
    Sie riecht sein Rasierwasser. Der Geruch begleitet sie seit Monaten. Wenn sie jemals wieder rauskommt, wenn sie jemals frei sein wird, wirklich frei, wenn sie dann dieses Rasierwasser riechen wird … dann wird sie durchdrehen.
    Er hat sie nie geschlagen, sie nie auch nur angefasst. Warum beschäftigt sich ausgerechnet Reinhard Finkenstedt mit ihr? Der müsste nicht hier sitzen. Er ist ein hoher Beamter. Er ist kein Vernehmer. Er arbeitet vermutlich an politischen Aufgaben. Larissa ist in dem Sinn keine ›Politische‹. Sie hat nie opponiert. Sie hat immer mitgespielt, den Schein gewahrt. Sie hat ihre Arbeit gut gemacht, ist zu Versammlungen gegangen. Hat sich nie öffentlich geäußert. Auch privat war sie sehr vorsichtig.
    Warum steht hier Reinhard Finkenstedt? Der Vater des Mannes, dem sie verfallen ist, in Augenblicken nur, und um den sie manchmal nachts weint, so heimlich, so leise, dass man es auch durch den Spion in der Zellentür nicht sehen kann. Sie weiß, dass etwas nicht stimmt. Sie weiß, dass sie in ein Räderwerk geraten ist, in dem andere Dinge verhandelt werden als ihr Versuch, der DDR den Rücken zu kehren.
    Finkenstedt unterbricht Larissas Gedanken.
    »Es fehlt nur Ihre Unterschrift, Dr. Roth.«
    Sie muss unterschreiben. Sie kann hier nicht bleiben. Sie muss raus. Sie haben alles akribisch geplant. Sie wird dieses Spiel mitspielen, nur noch ein paar Monate, nicht mal ein Jahr, und dann ist sie im Westen. Sie wird sich offenbaren, es wird Wege geben, dort drüben gibt es doch Demokratie, und sie will ja nichts weiter, als Ärztin sein. Kinder kommen immer zur Welt, da wird sie gebraucht.
    »Wir halten Sie unter Beobachtung …«
    »Ich habe genug Leute für Sie, die mich auf dem Laufenden halten … «
    »Ihre einzige

Weitere Kostenlose Bücher