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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Juliane.
    Der Wind riss Laub von den Bäumen und streute es uns vor die Füße, als wir in die Neumarkter Straße einbogen.
    »Ach, nichts. Ich habe über meinen Job nachgedacht.« Ich starrte vor mich hin, spürte aber deutlich Julianes Blick.
    »Du brauchst ein paar Tage Pause, um alles zu verdauen«, sagte sie. »Hast du kein anderes Projekt auf Halde, das dich ablenken könnte?«
    Ich dachte an den Lynns Anruf. Wellness im Bayerischen Wald, das klang nachgerade zauberhaft.
    »Ich bin traurig«, brummte ich. »Irgendwie. Ich weiß nicht, warum.«
    Die Straße lag still da. Hier am oberen Ende wohnte kaum jemand. Firmen, Autohäuser, ein Supermarkt säumten die Straße. Alles schlummerte im Dunkeln, kein Auto war unterwegs. Der Großstadtverkehr war wie fernes Meeresrauschen zu hören.
    »Wo parken wir noch mal?«, fragte Juliane desorientiert.
    »Da vorn.« Ich zog meinen Schlüssel aus der Tasche.
    Wir überquerten die Straße. Ein Motor heulte auf. Ich bemerkte, wie Juliane stehen blieb, ging jedoch weiter, auf meinen Alfa zu, der, beschaulich mit Blättern bedeckt, auf uns wartete.
    »Kea!«
    Ich hörte Juliane schreien, drehte mich zu ihr, sah den Wagen, der ohne Licht auf mich zuraste, glotzte wie ein verblödetes Reh auf die Schnauze aus Blech, die näher kam, näher, näher, unfähig, mich zu bewegen, bis mein Kopf die Bremse löste und ich loslief. Zu spät. Mein Schrei gellte in der Dunkelheit. Ich flog ein Stück durch die Luft. Funkstille.

36
    Das zuckende Blaulicht sah ich durch meine geschlossenen Lider. Ich lag auf etwas Hartem. Mein linkes Bein war taub.
    »Kea!« Jemand patschte ohne Unterlass auf meine Wangen.
    Ich knurrte unwillig. Ließ mich überzeugen, die Augen aufzumachen, und sah Juliane.
    »Meine Güte, warum konntest du nicht schneller davonlaufen?«, kauzte sie.
    Ein Polizist beugte sich über ihre Schulter und sah auf mich herunter.
    »Der Notarzt ist sofort da«, sagte er in behäbigem Oberbairisch und klang dabei wie Meister Eder, der mit dem Pumuckl zankte.
    Also konnte ich noch nicht lange da liegen. In Deutschland kamen Notärzte ziemlich schnell.
    »Hast du Schmerzen?«, fragte Juliane.
    »Nein, ich glaube nicht.« Ich kannte diese Situation. Schmerzen waren vornehme Gesellen, die sich erst einmal zurückhielten, damit man sich mit seiner neuen Lage vertraut machen konnte.
    »Sie hat eine künstliche Hüfte«, erläuterte Juliane dem Polizisten. Er sah skeptisch drein. Wahrscheinlich erwartete er implantierte Gelenke nur bei Menschen in Julianes Alter. Ich bewegte meine Beine. Sie funktionierten. Beide. Das war schon mal was. Angst. Ich will nicht ins Krankenhaus. Ich will nicht wieder operiert werden. Nicht wieder krank sein. Nicht wieder abhängig und unter Kontrolle von Maschinen. Ich will nicht. Will nicht.
    »Wo ist dein Handy?«, fragte Juliane.
    Ich tastete in meinem Blazer danach. Es war noch da und unbeschädigt.
    »Hier.«
    »Ich rufe Nero an«, verkündete sie.
    Super Idee. Sollte Nero kommen, die Dinge in die Hand nehmen. Ich schaffte es, mich auf meine Knie zu stemmen und mich aufzurichten. Der Polizist hielt mich fest. Ein freundlicher Mensch mit einem kantigen Kinn.
    »Ich möchte aufstehen«, sagte ich überflüssigerweise. Ich klammerte mich an ihn wie ein Krebs und stellte meinen rechten Fuß auf die Erde. Der musste mich tragen. Die rechte Seite war die Problemseite.
    »Es geht!«, sagte ich überrascht zu dem Polizisten.
    »Aha«, erwiderte er, aber ich nahm es ihm nicht übel. Er hatte auch nicht den allereinfachsten Part in diesem Stück.
    Schließlich stand ich auf beiden Beinen und machte ein paar Schritte.
    »Wo ist mein Autoschlüssel?«, fragte ich.
    »Der lag auf der Straße. Ihre Freundin hat ihn gefunden.«

     

37
    Der Zusammenstoß mit dem Wagen auf der Neumarkter Straße hatte ein Hämatom von Form und Ausmaßen Südamerikas auf meinem linken Oberschenkel hinterlassen. Zwischen Hüfte und Knie war praktisch alles blau. Ich überzeugte den Notarzt, dass ich zu Hause in besten Händen wäre, und Juliane fuhr mich heim, nachdem der Mediziner mir ein Schmerzmittel gespritzt und etwas von Heparin und Thrombosegefahr gefaselt hatte, das ich nicht verstand und das mich auch nicht interessierte. Ich wollte nach Hause, in meine Höhle. Nur dort würde ich mich heute Nacht sicher fühlen.
    »Das war ein verdammtes Glück«, sagte Juliane, als sie meinen Alfa über den Mittleren Ring lenkte.
    Ich hatte das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. »Ich konnte

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