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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Chance, sonst kriegen Sie Ihre Haftstrafe … «
    »Glauben Sie denn, in einem Prozess vor Gericht würde Ihre Unschuld bewiesen …? «
    »Ich biete Ihnen mehr, als Sie verdienen … «
    Larissa denkt an den Winter in der Zelle. An die Wochen, in denen sie krank dalag, so krank, dass sie sogar eine Ärztin geholt haben. Fieber, Ausschlag, fast ein Darmverschluss. Denkt, wie soll ich weitermachen, unter diesen Umständen.
    Larissa sieht Finkenstedts Hand, die den Kugelschreiber hält. Dicke, breite Hände, Arbeiterhände, Hände, wie ein Schmied sie braucht. Mit einem Kugelschreiber, der in diesen Händen schmächtig und krumm aussieht.
    Sie weiß, sie wird schuldig werden. Dieser Konflikt wird sich nicht zugunsten aller auflösen. Es wird Opfer geben und es wird Schuldige geben. Sie selbst wird Opfer sein und Täterin. Sie lädt Schuld auf sich. Moralische Schuld. Tragödienschuld. Mit diesem bescheuerten Kugelschreiber.
    Wofür stehe ich mit meinem Leben?, fragt sich Larissa, während ihre Muskeln, ihre Nerven schon den Griff nach dem Kugelschreiber vorbereiten. Sie trifft eine Entscheidung und ist entschlossen, sie durchzuhalten. So viel Schuld wie nötig. So wenig wie möglich. Ihr werdet noch alle bezahlen. Irgendwo und irgendwann gibt es eine Gerechtigkeit.
    Sie muss aushalten bis zu dem Moment, in dem sie dieses Land verlässt. Nur an diesen Schritt denken! Finkenstedt und seine Leute werden ihr gesamtes Umfeld infiltrieren. Sie wird völlig einsam und isoliert sein. Aber sie wird es schaffen. Sie schafft das.
    Larissa nimmt den Stift und unterschreibt.

38
    Loo und Litz schnatterten schlaftrunken und zeigten sich mürrisch wegen der Störung, als wir nach halb elf eintrudelten. Ich verriegelte die Stalltür und trottete ins Haus. Noch konnte ich nicht ganz glauben, dass meine Beine mich wirklich trugen.
    In der Küche kramte Juliane schon in meinen CD s.
    »Etwas Schmissiges kann jetzt nicht schaden«, erklärte sie.
    Ich setzte mich aufs Sofa. Ich liebte dieses Haus. Es war wirklich ein Zuhause geworden, nicht nur ein Unterschlupf oder ein vorübergehendes, spießiges Glück. Bisweilen dachte ich darüber nach, wie es wäre, weiterzuziehen. Mit dem Fluss der Jahreszeiten meldete sich der Instinkt, der einer Schneegans in der kanadischen Subarktis den Floh ins Ohr setzte, zum Golf von Mexiko aufzubrechen. In jedem von uns floss Nomadenblut. Es gab aufregendere Orte als Ohlkirchen im Münchner Südwesten. Zwar mochte ich die Landschaft, genoss die Nähe zum Fünfseenland, fuhr ab und zu nach Kloster Andechs, um das weltberühmte Bier zu genießen, oder verbrachte einen freien Tag im Allgäu, wo das Gras noch grüner und satter leuchtete als hier und echte Streichelkühe über die Wiesen zogen. Aber was mich an Ort und Stelle hielt, war das Haus. Es schien mir, als lächle es mir zu. Als sei es zufrieden, mich nun endgültig überzeugt zu haben, dass ich es nicht aufgeben dürfe.
    Juliane hatte eine CD von Grupo Sal aufgelegt, die Musik lateinamerikanischer Liedermacher interpretierten. Keine Folklore, sondern sozialkritische Songs mit Hintergedanken.
    Ich ging in mein Arbeitszimmer. Hier würde ich zur Ruhe kommen und schreiben, meine Gedanken sortieren. Ich sah aus dem Fenster. Auf dem Hügel, an den mein Grundstück angrenzte, bogen sich die Bäume im Wind. Der Mond schien hell, alles wirkte unecht, wie ein Gemälde von Turner, mit dick aufgetragener Farbpaste und diffusem Licht.
    Fast hätte es mich zum zweiten Mal erwischt. Aber mein Herz pumpte Blut durch meinen Körper. Ich hatte einen Schutzengel. Wahrscheinlich meine strenge Oma Laverde, die an höchster Stelle ein gutes Wort nach dem anderen für mich einlegte. Bestimmt wartete sie nun auf eine Gelegenheit, mir einen Denkzettel zu verpassen. Ihre rechte Hand konnte zu Lebzeiten hart sein wie Palisander.
    »Kea?« Juliane kam mir nach. »Hast du Hunger oder was?«
    »Es wird nichts im Haus sein, was der Rede wert ist«, erwiderte ich. »Und hier draußen was zu bestellen … das dauert.«
    »Du hast Knoblauchbaguette in deiner Tiefkühltruhe und Oliven inklusive einem Quader Käse im Kühlschrank. Wäre das was?«
    Ich nickte. Ging ins Schlafzimmer, schlüpfte aus meinen ramponierten Klamotten, kuschelte mich unter meine Bettdecke und bohrte die Nase tief in die Kissen. Über mir baumelte die Wäscheleine mit meinen Lieblingshaikus. Ich liebte die dreizeiligen japanischen Gedichte, und solche, die mir besonders gefielen, tuschte ich auf

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