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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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»Ich will dich behalten, Kea.«

54
    Ich wachte auf, weil ich durstig war. Ausgetrocknet wie der Negev und verwirrt. Mein Kopf war nicht mehr aus Glas. Die vielen Fäden dieser Geschichte umschlangen mich wie Nattern, kalt, glänzend, gefährlich.
    Wo waren die Zusammenhänge? Wohin gehörte ich?
    Wer hatte Larissa niedergeschlagen? Wer hatte mich angefahren? Ein Mann mit einer Visage wie Pinochet. Warum war der Typ auf mich losgegangen?
    Was wusste ich?
    Wem war ich gefährlich?
    Um Nero nicht zu wecken, schlüpfte ich leise aus dem Bett und tappte barfuß in die kleine Küche. Ohne Licht zu machen, trank ich Wasser direkt vom Hahn. Die Nacht war klar, der Wind rüttelte am Fenster.
    Mein Durst schien unstillbar. Katja Mannheim und Larissa von Rothenstayn. Es fehlte ein Bindeglied, ein letztes Scharnier. Katjas Tod hatte Alexander Finkenstedt schockiert. Wenige Jahre später wurde er wegen staatsfeindlicher Umtriebe verknackt. Sein Vater wurde zu seinem persönlichen Feind und tat alles, um über das Schicksal des Sohnes seine Karriere zu befördern.
    Simona Mannheim war Jahre danach mit Alex in Kontakt. Die Mutter des toten Mädchens und der Sohn des Mannes, dem man keinen Mord nachweisen konnte.
    Ich sah aus dem Fenster zum Himmel. Die Regenwolken waren abgezogen und gaben dem fast kugelrunden Mond eine Chance.
    Unten auf der Straße stand jemand. Neben unserem Gartentor. Ein Mann, der eine Zigarette rauchte.
    Sofort trat ich einen Schritt zurück. Mein Herz tobte wie ein bekiffter Drummer.
    Die Zigarette glühte auf, dann flog das rote Pünktchen durch die Nacht. Atemlos sah ich zu, wie der Mann sich hinunterbückte.
    Er streichelte einen Hund. Richtete sich auf und zog das Tier weiter, die Straße hinunter.
    Ich blieb eine ganze Weile stehen. Meine Füße waren eiskalt, als ich endlich ins Bett zurückkroch. Der Digitalwecker zeigte 3.32 Uhr an. Ich schob meine Beine zu Nero unter die Decke. Er war heiß wie ein Grill und brummte im Schlaf. Ich rollte mich zusammen und drückte meine Nase an seine Schulter.
    Ich bin raus aus der Story, redete ich mir ein. Keine Verfolger, keine Stasi.
    Da draußen war nur ein Mann, dessen Hund an Blasenschwäche litt.

55
    Nach einem kurzen Frühstück in der Bäckerei um die Ecke machten Nero und ich uns am Samstagmorgen zum Balmer See auf, um den Tatort von einst zu besichtigen.
    Während Nero fuhr, studierte ich die Karte. Der Balmer See war kein See, wie wir Süddeutschen ihn kannten. Die Peene, der westliche Mündungsstrom der Oder, trennte Usedom vom Festland und bildete eine pilzförmige Ausbuchtung im Rücken der Insel, das sogenannte Achterwasser. An manchen Stellen war Usedom nicht mehr als ein schmaler Strich Land von etwa einem Kilometer Breite zwischen Meer und Achterwasser. An anderen Stellen wiederum verdickte sich das Land. So im Dreieck der Orte Balm, Neppermin und Pudagla; dort lag eine geschützte Bucht mit dem Namen Balmer See.
    Wir kamen langsam voran. Schier unendliche Schlangen von Autos verstopften die schmalen Straßen.
    »Das gibt’s doch nicht«, schimpfte Nero. »Und man kann nicht mal meckern. Wir fahren hier auch spazieren.«
    Ich schwieg und ließ den Blick über die Hügel schweifen. Die Landschaft erinnerte mich an Ohlkirchen, an meine Talfalte weit draußen. Sollte noch mal einer sagen, dass es an der See flach wäre.
    Wir hielten in Neppermin und gingen die paar Meter zum Ufer des Achterwassers.
    »Das ist bereits der Balmer See. Wir müssen nach links«, bestimmte Nero, der Dönges’ Kopien in den Händen hielt. »Zum ehemaligen Lagerplatz der Jungen Pioniere.«
    Mir war nicht entgangen, dass er seine Dienstwaffe bei sich trug, obwohl er sie geschickt unter seinem Anorak verbarg. Noch hatte ich von dem Mann mit der Zigarette gestern Nacht nichts gesagt. Wozu auch. Ich wollte in Neros Augen nicht zur Neurotikerin werden.
    Wir gingen den Uferweg entlang. Das Schilf wiegte sich im Wind. Immer wieder kamen wir an kleinen Einschnitten vorbei, in denen Boote ankerten. Wenige Leute waren unterwegs, nur ein paar Radfahrer, die gegen den Wind ankämpften.
    »Schöne Gegend. Wäre das was für Urlaub?«, fragte Nero wie nebenbei, aber ich spürte sofort, dass er sich zu diesen zwei Sätzen regelrecht durchgerungen hatte. Er, der Italienliebhaber. Er, der verantwortungsvolle bayerische Bulle. Der mit seinen Torfaugen über das Wasser spähte wie Lederstrumpf.
    »Schon«, sagte ich.
    »Zu spießig in deinen Augen?«
    »Nicht unbedingt.« Im Grunde

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