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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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sich gleich der Pathologe darum.«
    »Hätte man sie nicht später vernehmen können?«
    »Wozu?«, schnaubte Dönges. »Es war doch klar, was geschehen war. Ein ungehorsames Mädchen war ertrunken. Dumm gelaufen. Rosa Finkenstedt noch einmal zu vernehmen, hätte nichts, aber auch nichts gebracht.«
    Mir schien, als wehre sich Dönges, der zu Beginn des Gespräches unsere Fragen bereitwillig beantwortet hatte, immer heftiger gegen jede Nachfrage. Seine Feigheit, die aufgrund der Umstände mehr als verständlich war, ging ihm noch nach 40 Jahren gegen den Strich.
    »Ihrer persönlichen Überzeugung nach«, formulierte Nero umsichtig, »was ist damals passiert?«
    »Das war nicht schwer herauszufinden. Einige Kinder sagten aus, Katja habe ein Ruder verloren und Finkenstedt habe sie aufgefordert, es zu suchen. Andere Kinder wussten nichts davon, und Alex konnte und wollte ich nicht fragen, da Finkenstedt ja neben ihm saß. Allerdings auf Abstand. Ein halber Meter lag zwischen ihnen. Es war eine kalte, windige Nacht. Dazu der Regen. Die Kinder froren, und Alex sehe ich noch heute, dieses magere Bürschchen, das in einem zu großen Pullover steckte und vor Kälte zitterte.« Dönges schüttelte den Kopf. »Ich habe drei Kinder und drei Enkel, und ich hätte jedes einzelne von ihnen in die Arme genommen, wenn sie dort in diesem lausigen Lager gewesen wären, das kann ich Ihnen flüstern!
    »Dieser Sache mit dem Ruder ist aber nie nachgegangen worden?«, erkundigte ich mich.
    »Nein, selbstverständlich nicht. Das hätte zwangsläufig bedeutet, dass Katja nicht aus freien Stücken schwimmen gegangen ist. Denn welche Neunjährige schwimmt in der Abenddämmerung auf den See hinaus, um ein verlorenes Ruder zu suchen?«
    »Noch dazu, wenn Regen und Wind aufkommen«, bestätigte ich.
    »Es war ein sehr kalter Abend für Juli. Und eine noch kältere Nacht.«
    Ich griff nach Neros Hand, als wir durch den Sand hinauf zur Promenade stapften. Dönges führte uns die paar Meter zur Pizzeria. Kaum waren wir durch die Tür getreten, schienen mich die plötzliche Stille und Wärme zu erschlagen. Weit nach 22 Uhr bestellten wir unsere Pizzen.
    »Das ist kein Thema«, sagte der Wirt auf die bange Nachfrage von Ralph Dönges. »Unser Ofen ist noch heiß.«

53

     
    Nachdem Dönges sich vor der Pizzeria von uns verabschiedet hatte und in die Dunkelheit getaucht war, schlenderten Nero und ich Arm in Arm durch den schlafenden Ort. Hie und da sah man noch Reste des Verfalls, der lange vor 1989 eingesetzt hatte, aber die meisten Häuser waren schön hergerichtet. Mit ihren herrlichen Holzveranden und verschnörkelten Giebeln strahlten sie Heiterkeit und Würde aus. Die Lichter der Hotels und Restaurants strahlten in die Nacht.
    »Reinhard Finkenstedt hat Katja auf dem Gewissen«, sagte ich leise zu Nero. Einige Hundert Meter vom Strand entfernt, konnte man sich wieder in normaler Lautstärke unterhalten. »Er ist ›Katjas Mörder‹, den Larissa finden will!«
    »Dafür haben wir keine Beweise.«
    »Was denkt Martha Gelbach?«
    »Sie weiß nicht, dass ich hier bin.«
    »Wird das keinen Ärger geben?«, fragte ich.
    »Vergiss nicht, wir machen hier Urlaub. Aber mir geht eines nicht aus dem Kopf: Wer hat dich angefahren und warum? Wohl jemand, der sich sicher sein konnte, dass du ihm auf die Spur gekommen bist.«
    »Ich bin niemandem auf die Spur gekommen«, protestierte ich.
    »Wer auch immer es war, er hat deine Schritte beobachtet. Du hast entscheidende Zeugen befragt. Gerrit Binder, Kendra White, Dagmar Seipert. Und diesen Chris Torn, den ich für mehr als zwielichtig halte.«
    Ich fand die Vorstellung gruselig, dass mir jemand über die Schulter guckte. »Wie soll einer das geschafft haben?«
    »Sei nicht naiv! Sogar Simona Mannheim hat dich aufgespürt.« Nero stieß das Gartentor zu unserer Villa auf und ließ mich hindurchgehen. Aufmerksam betrachtete er die parkenden Autos und die umliegenden Häuser. Alles war ruhig, verschlafen, provinziell. Nicht anders als Ohlkirchen. Ich dachte an Austerlitz und Waterloo, denen ich eine Menge Futter hingeschaufelt hatte. Sie mussten ein paar Tage alleine zurechtkommen.
    »Nero«, flüsterte ich, während wir in den ersten Stock hinaufschlichen und doch nicht vermeiden konnten, dass die alten Holzstufen gehässig knarrten, »wer auch immer das sein soll, er hätte mich nach Heldburg zu Gerrit Binder verfolgen müssen. Von Rothenstayn nach Nürnberg und nach Hause. Nach München zu Dagmar Seipert,

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