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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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fühlte ich mich sehr wohl. Die prickelnd frische Luft tat mir gut, die Weite, der Geruch nach Salz, das blaugraue Wasser, das an der Insel fraß. Der Tag war klar und kühl. Der beständige Wind blies mir den Kopf frei. Mir schien, als könne allein die Kraft der Luft und des Meeres alle drögen Gedanken tilgen.
    »Eigentlich gefällt es mir.«
    »Und uneigentlich?«
    Ich lachte und boxte ihn in die Seite. »Mach es nicht so kompliziert.«
    »Was mache ich denn kompliziert?« Nero setzte eine gespielt empörte Miene auf.
    »Du sprichst von Ferien. Darf ich dir ein Pensionszimmer in der Nähe von Ohlkirchen anbieten?«
    »Ehrlich gesagt, das ist mir zu nah an meinen alltäglichen Verpflichtungen. Ich meine, wenn ich in Urlaub fahre, dann muss ich schon mindestens 200 Kilometer zwischen mich und meinen Alltag legen, wegen des inneren Abstandes … versteh mich nicht falsch.«
    »Schon klar.«
    Nach einem guten Kilometer, den wir einsam an nassen Wiesen, verlassenen Straßen und Schilf entlanggelaufen waren, erreichten wir Balm.
    »Dönges sagte, heute steht ein Golfhotel an der Stelle, wo die Jungen Pioniere früher Ferien machten.« Er wies auf einen Hügel, auf dem sich ein modernes Gebäude erhob. Im Hintergrund sah ich zwei Männer mit Caddies über das Grün schlendern.
    »Was hoffst du hier zu finden?«, fragte ich. Ein nagelneuer Holzsteg führte hinaus aufs Wasser. Kein einziges Boot war daran vertäut.
    »Ich glaube, hier herrscht schon die Nachsaison«, bemerkte Nero anstelle einer Antwort.
    Ich folgte ihm über die Planken.
    »Hier rechts«, er wies auf den Wildwuchs aus Schilf am Ufer, »haben sie die Leiche gefunden.« Er vertiefte sich in seine Papiere. »Ja. Hier muss es sein. Hör mal, Kea.« Er sah mich an. »Wenn du die Szene schreiben müsstest, in der Katja ins Wasser geht … wie würdest du es anstellen?«
    »In ein paar kurzen Sätzen würde ich die Stimmung schildern. Jahres- und Tageszeit. Um die Atmosphäre einzufangen. Ich skizziere mit ein paar Pinselstrichen die Bühne, auf der gleich die Schauspieler in Aktion treten.« Ich sah mich um. Die Weite der Landschaft berauschte mich. Zu Hause stieß mein Blick immer an ein Hindernis. An einen Hügel. Ein Haus. Einen Ort. Hier machte das Wasser alles frei und unendlich. Ein Hausboot trieb weit draußen. Die Wellen schlugen leicht gegen den Steg.
    »Weiter«, bat Nero.
    »Danach kommt die Hauptfigur dran. In unserem Fall Katja. Was treibt sie an, was ist ihr Ziel, wie geht sie darauf zu, welche inneren Konflikte beherrschen sie. Warum willst du das wissen, Nero?«
    »Ich brauche ein Bild«, sagte er. »Ich muss mir etwas vorstellen können. In meiner Zeit bei der Mordkommission hing ich stundenlang an den Tatorten herum, um einen Eindruck zu gewinnen.«
    Ich verstand, was er meinte. Ein Bild sagte mehr als trockene Fakten in einer Akte. Sehr viel mehr.
    »Ich habe immer gedacht, Polizisten verlassen sich auf das Objektive. Auf Tatsachen.«
    »Das auch. Aber Fakten sind noch keine Aussagen. Aussagen sind Interpretationen von Fakten. Und seit der Quantentheorie wissen wir, dass alles, was wir beobachten, nicht einfach in der Welt ist, sondern vom Beobachter abhängt.«
    Quantentheorie gehörte nicht gerade zu meinen Hobbys, deshalb tastete ich mich auf bekanntes Gebiet zurück: auf das Strukturieren eines Plots, in dem alles, was für eine Story wichtig war, zusammenfand.
    »Als Nächstes kommt die Hauptsache«, fuhr ich fort. »Wir brauchen eine Handlung. Bücher ohne Handlung sind langweilig. Handlung entsteht, wenn eine Figur ihr Ziel unbedingt erreichen will. Katja will, sie muss das Ruder finden. Sie geht vielleicht erst am Ufer entlang und sieht auf den See hinaus. Hofft, das Ruder vom Ufer aus zu entdecken. Gab es damals einen Steg, von dem aus sie ins Wasser hätte steigen können?«
    Nero konsultierte seine Unterlagen. »Nein. Der damalige Steg lag weiter hinten«, er zeigte mit der Hand in die umgekehrte Richtung, »gehörte zu einem Bootshaus. Das ist längst abgerissen.«
    »Katja sucht eine günstige Stelle, von der aus sie ins Wasser kann. Wenn das Schilf schon genauso dicht wuchs wie heute, wie hätte sie durchkommen sollen? Nero, das alles ist 40 Jahre her!«
    »Wir rekonstruieren ja keinen Tathergang. Erzähl mir einfach eine Geschichte.«
    Das fiel mir nicht schwer. Inmitten der klaren, kühlen Natur arbeitete meine Fantasie schneller als in der üblichen Routine vor dem Computerbildschirm.
    »Katja findet einen Einstieg in den

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