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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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ich ein Seminar. Wollten Sie nicht auf einem Schloss in Unterfranken sein? Sind Sie in der Nähe? Könnten wir zusammen zu Mittag essen?«
    »Haben Sie Ihr Auto parat?«
    »Schon.« Nero war alarmiert.
    »Treffen wir uns in Dettelbach. Ich kenne dort eine kleine Heckenwirtschaft.« Sie beschrieb ihm den Weg. »Finden Sie das?«
    »Natürlich.« Nero sah auf die Uhr. Es war fast 20 nach zwölf.

5
    Ich hockte einfach nur da und glotzte auf die Zitronenscheibe, die in meinem Mineralwasser umherschwamm. Dicke, fleischige Kerne lösten sich daraus und dümpelten gegen den Glasrand. Die Stunde der Wahrheit nahte. Ich konnte Nero Keller nicht länger ausweichen. Zwar hatte ich mein Bestes gegeben, mein Herz nicht zu verschenken, aber er beschäftigte mich in meinen Gedanken eben doch. Deswegen vergaß ich auch nie, ihm vor einer Reise zu einem Kunden, selbst wenn sie nur wenige Tage dauerte, eine Mail oder SMS zu schicken. Es war, als wollte ich Spuren hinterlassen für den Herrn aller Hacker, den Spürhund des Internets, den Indianer in der WWW-Prärie.
    Meine beste Freundin Juliane Lompart ließ mich schon lange nicht mehr in Ruhe damit: Es wäre Zeit, Tacheles zu reden. ›Du kannst einen Mann nicht so am ausgestreckten Arm verhungern lassen‹, pflegte sie mich zu tadeln. Juliane, die immerhin schon 77 Jahre alt war, beherrschte die Klaviatur der Beziehungen aus dem Effeff. Sie stand in Kontakt mit Nero, fest entschlossen, mich unter die Haube zu bringen.
    Ich stimmte Juliane theoretisch sogar zu. Männer waren zu schade, um sie verwelken zu lassen. Nur mit der Praxis haperte es. Aus Gründen, die für mich selbst im Dunkeln blieben, schaffte ich es einfach nicht, Nero Keller zu signalisieren, dass ich ihn behalten wollte. Nicht nur als Nothelfer oder guten Kumpel. Ich war nicht einmal imstande, mir selbst einzugestehen, dass ich mehr von ihm wollte. Lieber schob ich vor, dass Nero ein Pedant war, der mehr als alles seine Ordnung vergötterte. Ich selbst war eine Chaotin in sämtlichen Angelegenheiten, die nicht mit der Arbeit zu tun hatten. Wie sollte ich mit einem wie Nero zusammenpassen? Bei allem Respekt vor Gefühlen!
    Es war kurz nach eins, und das Gewitter, das von Westen gekommen war, zog weiter. Von der Markise tropfte der Regen. Die Sonne brach durch. Ich setzte meine Sonnenbrille auf. Ich hatte nicht damit gerechnet, Nero sofort treffen zu können. Zwar wusste ich, dass er derzeit durch Bayern tourte, aber es war dennoch ein Wink des Schicksals, dass er sich ausgerechnet die paar Kilometer weiter in Würzburg aufhielt. Jetzt klopfte mein Herz in Vorfreude, ihn zu sehen.
    Er stürmte in den Biergarten wie der Kopf eines Stoßtrupps bei der Einnahme eines feindlichen Gebietes. Das mochte ich am liebsten an ihm: diese unbedingte Einsatzbereitschaft. Nero Keller war keiner, der zögerte, wenn es zu handeln galt. Er erinnerte mich manchmal an Zorro. Dabei war sein Äußeres gar nicht so verwegen: braunes Strubbelhaar, italienischer Bart, spießige Klamotten. In seinem Inneren aber schrillte ein beständiger Alarm. Es muss mit dem Mord an seiner Frau zu tun haben, dachte ich. Sie war vor seinen Augen bei einem Raubüberfall in einem Supermarkt erschossen worden. Vielleicht bevorzugte er deswegen seine neue Tätigkeit als Dozent. Sie lenkte ihn von der Misere der echten Welt ab.
    »Hallo!«, rief er und kam an meinen Tisch. Er trug Jeans, ein kurzärmeliges weißes Hemd und eine Krawatte.
    Ich stand auf. Wir begrüßten uns mit Handschlag. Hätten wir eine Umarmung gewagt, wäre es wahrscheinlich um uns geschehen gewesen. Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte er die Bedienung heran und bestellte eine Cola.
    »Was gibt es?«, kam er zur Sache, kaum dass er mir gegenüber Platz genommen hatte.
    Ich berichtete. Von der Gräfin, meinem Auftrag, dem geheimnisvollen Besuch, der gestern Abend unser Interview unterbrochen hatte. Von meinem Weg zum Bach heute Morgen. Nero knetete seine Hände und sah mich unverwandt an. Seine braunen Augen waren dunkel wie Torf. Ich verlor mich darin, wenn ich zu lange hineinblickte. Deshalb wandte ich den Blick ab und starrte zur Markise hinauf, deren orangerote Blumen auf grünem Grund ein bizarres Muster auf unseren Tisch warf.
    »Wollen Sie was essen?«, schnauzte die Bedienung, als sie Neros Cola auf den Tisch stellte.
    Wir bestellten Schnitzel. Ich schob meine Daumen in den Hosenbund und schwieg. Ich wusste nicht mehr, was ich von Nero eigentlich gewollt hatte. Informationen?

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