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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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ich.
    »Ich sollte verhaftet werden. Die Festnahme stand unmittelbar bevor, als Larissas Flucht verraten wurde. Daraufhin sollte mir ein Kurier den Pass bringen. Er reiste ein, aber ich war schon im Knast. Zu spät.«
    »Sie haben den Pass behalten?«
    »Ein Trick«, erklärte Alexander Finkenstedt. »Der Kurier hinterlegte den Reisepass bei Gerrit Binder, und weil er nie benutzt wurde, wurde er auch nicht an die Gemeinde in Eupen zurückgegeben. Mein Deckname blieb im Melderegister.« Ein sympathisches Lachen gluckste durch die Leitung.
    Zum Glück lag es nicht an mir herauszufinden, ob das, was Alex erzählte, der Wahrheit entsprach. Ob es strafbar war, interessierte mich gleich gar nicht. Ich hatte zu schreiben.
    Die Zeit schreitet voran und nur Buddha dreht das Rad, pflegte Juliane zu sagen. Aber sie war mit ihrer Schwester auf Usedom geblieben.
    »Es ist wegen Dolly, sie braucht einen Tapetenwechsel«, erläuterte mir Juliane am Telefon.
    Ich gönnte den Schwestern ihren Urlaub, doch Juliane fehlte mir. Nero sagte ich das nicht. Ich hatte den Eindruck, er war froh, eine Weile nicht mit Juliane konkurrieren zu müssen. Über ihre Finte, die ihn am Abend des 6. September weggelockt hatte, war er immer noch sauer. Nur Julianes beherztes Eingreifen schien ihn zu versöhnen. In den Nächten schlief er schlecht. Oft schreckte er hoch, mit einem panischen Aufschrei, oder er wälzte sich zwischen den Kissen hin und her. Ich nahm ihn in die Arme, wischte den Schweiß mit dem Pyjamaärmel von seiner Stirn. Es kam vor, dass wir stundenlang im Bett saßen und redeten. Über Alex und Larissa und ihre verlorene Leidenschaft. Über Milena und ihren Verrat, der aus Eifersucht oder Übereifer, vielleicht durch Gehirnwäsche zustande gekommen war. Über den Hass, den Reinhard Finkenstedt in seinem Sohn gesät hatte.
    Untertags bekam ich kaum etwas von der Wirklichkeit mit. Wenn ich sehr hart an einem Projekt arbeitete, dann schien es mir, als geschähe das Leben außerhalb meiner Reichweite, als schliche ich durch die Welt wie ein Geist, fremd und greis. Ich schrieb bis zur Erschöpfung.
    Am Freitagabend hatte ich die Rohfassung fertig. Ich setzte den letzten Punkt, speicherte und schloss das Dokument. Der Klick mit dem Zeigefinger löste eine Art Koma aus. Mein Kopf sank neben dem Laptop auf die Schreibtischplatte.
    ›Rohfassung‹ bedeutete ein Konglomerat aus Textfragmenten, das ich niemandem jemals zu zeigen beabsichtigte. Ich würde es liegen lassen und nach zwei Wochen erneut durcharbeiten. Solange konnte ich mich mit Wellness im Bayerischen Wald beschäftigen. Nero musste ab Montag wieder arbeiten. Ich rief Lynn an und fragte, ob das Angebot noch stünde.
    »Du kannst jederzeit los. Soll ich die Hotels für dich buchen?«
    »Gebongt. Aber denke nicht, dass das zur Gewohnheit wird«, baute ich den übersteigerten Erwartungen meiner Agentin vor.
    Ich drehte ›Sin fronteras‹ noch etwas lauter auf und stellte mich ans Fenster.
    ›Visa para un sueño‹, sang Grupo Sal. Jemand brauchte dringend ein Visum, um seine Träume in einem anderen Land zu verwirklichen.
    »Ich kann nicht mehr«, sagte Nero in meine Gedanken hinein. »Können wir nur mal für eine halbe Stunde eine andere Musik auflegen?«
    Als er so vor meinem Schreibtisch stand, die Hände auf die Ohren gepresst, brachte er mich zum Lachen.
    »Willst du Kaffee mit frischem Apfelkuchen? Ich war einkaufen.«
    Wie sollte eine gefräßige Person meines Kalibers ein solches Angebot ablehnen?

     
    Die Gräfin starb in der Nacht zum 13. September um 4.30 Uhr. Milena und Gerrit waren bei ihr, als es zu Ende ging.
    Drei Tage später überwies mir Milena den vereinbarten Restbetrag und bat mich, ihr meine Dokumente zu mailen und anschließend zu vernichten. Sie wollte selber alles in Händen halten und entscheiden, was mit Larissas Geschichte geschehen sollte. Da war ich schon im tiefen Niederbayern und arbeitete mich in die Wellnessverführungen der Region ein. Ich schickte Milena das Textfragment, das ich auf dem Rechner hatte. Meine Sicherungen vernichtete ich nicht.
    Ich telefonierte jeden Abend mit Nero und beendete meine Reise am 20. September, als Larissa auf dem Rothenstayner Kirchhof beigesetzt wurde. Dort traf ich Milena, Gerrit Binder, Kendra White-Höfner, Alex Finkenstedt und Chris Torn, der den verstümmelten rechten Arm in seiner Manteltasche verbarg und mich während der Zeremonie auf dem Friedhof nicht aus den Augen ließ. Ben Berger drückte sich im

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