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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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beachtlichen Radius um sie verteilt. Die Frau hat endlich die Schüssel abgestellt und streicht ihrem Mann übers Gesicht. Der schüttelt drohend die Faust und scheint nach etwas zu suchen, das er ihnen hinterherschleudern kann. Als er eine Flasche vom Boden aufhebt, beobachtet Hartmut ihn bereits im Rückspiegel, biegt ab auf den Zubringer zur Autobahn und schaltet nach oben. Triumph und Beschämung halten sich die Waage. Philippa zieht die Nase hoch und schnallt sich an.
    »Das ist dir wahrscheinlich lange nicht passiert. Dass du dich prügelst.« Sie bricht in ein nervöses Lachen aus und schüttelt den Kopf. Noch einmal blinkt er, dann sind sie zurück auf der A1, die dreispurig durch die Landschaft führt. Bis Porto sind es nur wenige Kilometer. Noch immer klopft ihm das Herz wie ein eingesperrtes Tier in der Brust. Seine Hände auf dem Lenkrad zittern.
    »Also?«, fragt er.
    »Er hat angefangen«, sagt Philippa. »Lief an mir vorbei und meinte irgendwas von wegen: Das ist zwar Portugal, trotzdem kann nicht jeder parken, wo er will. Wieso müssen Deutsche andere Leute immer belehren? In diesem furchtbaren Ton.«
    »Deshalb hast du ihn angebrüllt?«
    »Ich hab gesagt, es geht ihn einen Dreck an, wo wir parken. Daraufhin meinte er, ich müsste wohl mal was hinter die Ohren bekommen. Da bin ich hingelaufen und wollte den Tisch umschmeißen oder so was. Hab mich aber nicht getraut. Mein Training in Hamburg war zur Selbstverteidigung. Attackieren ist schwieriger.« Sie sieht auf ihre Hände und nickt. »Du kannst es ganz gut. Platzierter Kick.« In ihrem Hals sitzt ein erschrecktes Schlucken, das in Weinen oder Lachen umschlagen könnte. Allmählich kühlt die Luft im Wagen ab.
    »Du könntest in deiner Tasche nach einem Pflaster suchen, falls du so was hast«, sagt Hartmut.
    »Ich hab eine Mullbinde. Soll ich dir einen Turban drehen wie früher?«
    »Jedenfalls wirst du kein Foto machen und deiner Mutter schicken.«
    »Nein. Mit dem Bart würde sie dich sowieso nicht erkennen.« Kurz ruht ihr Blick auf ihm, bevor sie sich zur Rückbank umdreht. Was er wirklich fühlt, ist weder Triumph noch Beschämung, sondern etwas von der Art, das man heute nicht mehr gut sagen kann. Dass er getan hat, was er tun musste. Wenn jemand deine Tochter ein Flittchen nennt, musst du kräftig hinlangen, um ihretwillen und damit das Wort dich nicht jahrelang verfolgt. Worte können das, er weiß es aus eigener Erfahrung. Diesmal hat er die Gefahr abgewendet. Alles andere ist nicht so wichtig.

13 João nennt es sein Arbeitszimmer, obwohl er als Zahnarzt nicht zu Hause arbeitet und der kleine Raum einer Abstellkammer gleicht. Kartons stapeln sich in den Ecken, und der Schreibtisch ist so voll, dass Hartmut einige Minuten räumen musste, um Platz zu schaffen für seinen Laptop. Durch die offene Balkontür hört er, wie auf dem Dach des benachbarten Einkaufszentrums gearbeitet wird. Einen Taschenrechner hat er gefunden und seinen Computer eingeschaltet, aber vorerst trinkt er Kaffee und lässt den Blick über das Wandregal schweifen. Ein paar Bücher aus der Science-Fiction- und Fantasy-Abteilung stehen dort, Bildbände über Rockbands, viele Krummsäbel und Dolche, maßstabsgetreue Modelle von Motorrädern, dazu Aktenordner und zahnmedizinische Fachliteratur. Das gerahmte Foto auf dem obersten Regalboden zeigt ein junges Paar am Hochzeitstag. Schön, ernst und bereit zum Glück. Die feine Staubschicht auf dem Glas lässt Maria und ihn merkwürdig entrückt erscheinen.
    Es ist halb zehn am Morgen. Träge wendet Hartmut den Kopf und betrachtet die vertraute Kulisse von Saldanha. Hinter dem Einkaufszentrum erhebt sich ein unscheinbares Bürogebäude mit getönten Scheiben, daneben leuchtet der Schriftzug des América Diamond’s Hotel. Über den Palmen entlang der Avenida Fontes Pereira de Melo tauchen in regelmäßigen Abständen Flugzeuge auf. Sie schweben herab aus tiefblauemHimmel und verschwinden Richtung Norden, wo der Flughafen von Lissabon liegt. Fünfunddreißig Grad wurden vorausgesagt und werden in Kürze erreicht sein.
    »Não te atrevas!«, ruft João im Wohnzimmer. Wag es nicht! Philippa lacht triumphierend und antwortet zu schnell, als dass Hartmut sie verstehen könnte. Schon am Frühstückstisch haben die beiden das Sortiment inspiziert und sich für ein Videospiel namens Martial Arts Duel entschieden. Seit einer halben Stunde gehen sie aufeinander los. Marias jüngerer Bruder ist für Philippa immer noch der große Kumpel

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