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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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aus Lissabon, der nie langweilige Fragen nach der Schule gestellt, sondern zur selben Zeit und mit derselben Begeisterung wie sie Harry Potter gelesen hat. Außerhalb seiner Praxis verzichtet João darauf, sich wie ein Erwachsener zu benehmen. Seit gestern Abend ziehen die beiden einander unentwegt auf und sind so vergnügt und streitlustig wie es die Bergenstädter Zwillinge früher waren.
    Im Posteingang klickt Hartmut Katharinas letzte Mail an, stützt beide Ellbogen auf die Tischplatte und liest.
    Wichtig seien zwei Dinge, betont sie. Erstens die individuelle Absenkung seiner Rentenansprüche aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens; je nachdem, wann er gehen wolle, wären das vier bis fünf Jahre, die von seiner Dienstzeit abgezogen würden, ergänzt um etwaige Rentenansprüche aus der neuen Tätigkeit. Darüber könne sie nichts sagen, solange sie das entsprechende Gehalt nicht kenne. Übrigens sei ihr auch die Gesamtzahl seiner Dienstjahre nicht bekannt gewesen, sie habe das auf der Basis seines akademischen Lebenslaufs überschlagen und sei auf achtundzwanzig gekommen, die frühere Angestelltenzeit mitgerechnet. Zweitens bitte sie, die allgemeine Absenkung des Versorgungsniveaus für Beamte seit Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes von 2001 zu beachten. Er solle sich nicht davon blenden lassen, dass im angehängten Hinweisblatt von ›Erhöhung‹ gesprochen werde. Der Anpassungsfaktor trage eine Null vor dem Komma, folglich komme am Ende weniger heraus. Kurz gesagt, wenn man von fünf wegfallenden Dienstjahren ausgehe,mindere sich sein Ruhegehalt um rund zehn Prozent. Bei achtundzwanzig Dienstjahren würde er achtundzwanzig mal 1,80391 Prozent seines letzten Bonner Bruttogehalts bekommen. Plus Familienzuschlag. Das ist, als Hartmut es ein Mal aus- und zwei Mal nachgerechnet hat, erstaunlich wenig. Dass er nach scharfem Nachdenken auf neunundzwanzig Dienstjahre kommt, macht die Sache nur unwesentlich besser. Bleibt das Haus, die von Herrn Meier in Aussicht gestellte und nicht eben fürstliche Summe. Außerdem die Frage, ob das Ganze genehmigt würde. Mit welcher Begründung will er eigentlich aussteigen?
    Hartmut klickt die Berechnungstabellen weg und bittet Frau Hedwig in wenigen Sätzen, ein Exemplar der Doktorarbeit von Herrn Lin an den Kollegen Breugmann weiterzuleiten. Dann klappt er den Computer zu und stellt sich auf den Balkon. Die umliegenden Häuser mit ihren heruntergelassenen Rollläden sehen aus wie fensterlose weiße Silos. Das Einkaufszentrum bekommt eine neue Belüftungsanlage. Dicke Aluminiumrohre glänzen in der Sonne, und über allem liegt ein Leuchten, für das es hier ein eigenes Wort gibt: luminosidade. Es füllt den Raum unter dem Himmel wie das Innere eines Ballons. Maria hat nur noch einen Flug über Genf bekommen, morgen Abend um zwanzig nach neun wird sie in Porto landen. Was soll er ihr sagen? Wieder hört er Joãos Stöhnen und Philippas Lachen. Durch die andere Balkontür geht er ins geräumige, nach Tabak riechende Wohnzimmer. Hinter dessen zugezogenen Gardinen ist es wohltuend schattig.
    »Deine Tochter macht mich alle«, ruft sein Schwager ihm entgegen. Den Tisch haben die beiden beiseitegeschoben, sitzen nebeneinander vor dem riesigen Flachbildschirm und sind vor allem damit beschäftigt, den anderen bei der Bedienung der Spielkonsole zu behindern. Fünf zu zwei lautet der Score von ›Flippa‹ gegen ›Big Joe‹. Obwohl nur die Figuren auf dem Bildschirm kämpfen, ist João in seinem ärmellosen Shirt bereits schweißgebadet. Früher hat er viel trainiert, jetzt geht er auf die fünfzig zu und wird füllig um die Hüften. Mit der Schulter versucht er Philippa zu stören, aber deren Figur setzt zum Sprung an, steigt hoch in die Luft und streckt den Gegner mit einer Reihe schneller Tritte nieder. Eine triumphierende Melodie zeigt das Ende des Kampfes an. João tut es seiner Figur nach und rollt schwerfällig auf den Rücken.
    »Little bitch«, keucht er auf Englisch und streckt die Arme von sich.
    Im Sitzen deutet Philippa eine Verbeugung an und sieht ihrer Figur auf dem Bildschirm merkwürdig ähnlich. Shorts und weißes Unterhemd, schlanker als Hartmut sie vom letzten Urlaub in Erinnerung hat. Weil sie keinen BH trägt, drücken die Spitzen ihrer kleinen Brüste gegen den Stoff.
    »Du kämpfst wie ein Teddybär.« Sie steht auf, trinkt einen Schluck Wasser und lässt sich nicht anmerken, dass die Anwesenheit ihres Vaters sie stört. Früher in Rapa haben João und sie

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