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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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schon eine ganze Weile.«
    »An einander vorbei. Um einander herum. Was auch immer.« Die Bewegung, mit der sie ihre Tränen wegwischte, warenergisch, so als würde sie sich den kurzen Zusammenbruch übelnehmen und den entstandenen Eindruck korrigieren wollen. »Du tust so, als würdest du dich für meine Arbeit interessieren, aber in Wirklichkeit gilt dein Interesse ausschließlich der Frage, wann ich sie an den Nagel hänge.«
    »Es geht nicht um die Tatsache, dass du arbeiten willst. Ich hab dich immer ...«
    »Zu Portugiesisch-Kursen an der Volkshochschule, ja.« In einer ruckartigen, für sie untypischen Geste hielt sie ihm die ausgestreckte Hand entgegen. »Ich habe fünf solcher Kurse gegeben. Fünf.«
    »Was hättest du gerne von mir gehört? Geh doch nach Berlin, Schatz. Ruf Falk Merlinger an und frag, ob er Verwendung für dich hat. Hier in Bonn störst du mich sowieso nur. Das?« Sie war es gewesen, die beim Abschied behauptet hatte, ihr Umzug werde ihnen beiden guttun. Er hatte das nie geglaubt.
    »Neulich hab ich gedacht, es gibt so viele Dinge, die ich gerne mit dir teilen würde. Von denen ich gerne erzählen würde, aber jedes Mal sehe ich schon vor dem ersten Satz den Verlauf des Gesprächs vor mir. Ich weiß genau, wo du einhaken wirst. Sobald ich von Schwierigkeiten spreche, machst du dir Hoffnungen. Wenn ich von Problemen berichte, ernte ich kein Verständnis, sondern bestätige deine Meinung, den falschen Schritt getan zu haben. Außerdem fühle ich mich augenblicklich schlecht, weil ich dir Hoffnungen mache, die ich dann wieder enttäuschen muss. Das ist das Zweite: Permanent zwingst du mich in die Rolle derjenigen, die unsere Ehe gefährdet, indem sie ihre eigenen egoistischen Pläne verfolgt.«
    »Ich wusste nicht, dass unsere Ehe in Gefahr ist.«
    »Doch, das weißt du.«
    Mit der rechten Hand schaltete Hartmut die Klimaanlage ein. Das war neu. Von einer Gefahr für ihre Ehe war nie die Rede gewesen, und Maria neigte nicht zu rhetorischer Leichtfertigkeit. Aufreizend gelassen hatte sie die Worte ausgesprochen. Hartmut legte die Hand zurück aufs Lenkrad und versuchtevorauszusehen, welchen Verlauf das Gespräch nehmen würde. Mit wenigen Sätzen hatten sie die Präliminarien abgehakt und begonnen, Tacheles zu reden. Schneller als Marias Tränen trocknen konnten.
    »Aber du scheinst nicht zu wissen«, fuhr sie fort, »inwiefern diese Gefahr von deinem Verhalten ausgeht.«
    »Informier mich.«
    »Seit einem Jahr treten wir auf der Stelle ...«
    »Zwei Stellen.« Sein rechter Fuß zuckte schon wieder. Alles in ihm schien plötzlich zu zucken. »Kann ja nicht schaden, es genau zu nehmen.«
    »... kommen keinen Schritt vorwärts und verschwenden die kostbare Zeit unseres Zusammenseins damit, immer wieder dieselben ergebnislosen Gespräche zu führen.«
    Damit schien sie sich auf seine Fragen nach ihrer Arbeit zu beziehen, auf die er meist ausweichende Antworten erhielt. Ergebnislos, in der Tat. Wieso war das seine Schuld? Offensichtlich musste er hier ein paar Dinge geraderücken. Wusste Maria, wie die letzten Monate aus seiner Sicht verlaufen waren? Wieso saß er plötzlich auf der Anklagebank?
    Seine Frau war noch nicht fertig.
    »Dabei könnte das alles eine Bereicherung sein – was ich erlebe und was du erlebst. Wir haben Dinge, über die wir reden können. Wir könnten das teilen. Es könnte schön sein, wenn ...«
    »Wenn ich endlich diese dämliche Idee aus meinem Kopf bekäme, dass wir am besten in einer Stadt leben sollten. Richtig? Würde ich endlich einsehen, dass fünfhundert Kilometer die perfekte Distanz zwischen zwei Ehepartnern sind, wäre unser Leben wie Marzipan. Gott, was wir außer Tisch und Bett alles teilen könnten!«
    »Hör dir zu, Hartmut! Du klingst – beleidigt.«
    Und er hasste es! Seine Frau warf ihm vor, beleidigt zu sein, weil er darunter litt, sie nicht häufiger zu sehen. Was als Nächstes? Würde sie ihn eine Memme nennen, weil er sie liebte?
    »Moment!«, sagte er und musste gegen den Impuls ankämpfen, mit den Händen vor ihrem Gesicht zu gestikulieren. »Du beklagst dich, ich würde dir eine Rolle aufzwingen, die der eigensüchtigen Selbstverwirklicherin. Darf ich dazu anmerken: Erstens hast du dir diese Rolle selbst ausgesucht, und du spielst sie auch ziemlich gut ...« Das Zusammenkrampfen ihrer Hände verriet ihm, dass er getroffen hatte. Ein Tiefschlag zwar, aber bemühte sie sich etwa um Fair Play? »Zweitens verhält es sich umgekehrt: Du zwingst mir

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