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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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»Ich hab an dich gedacht,weil ich mit jemandem über einen Film gesprochen habe. Da fiel mir ein, du hattest mir davon erzählt. Wilde Erdbeeren . Ich hab ihn immer noch nicht gesehen.«
    »Nicht der beste, aber ein typischer Bergman-Film. Ingrid Thulin ist zauberhaft.«
    »Irgendwann werde ich ihn mir ansehen.« Im Platznehmen gibt Bernhard der Bedienung ein Zeichen, stützt die Hände auf den Tisch und sieht Hartmut fragend an. »Und du – bist gerade angekommen, oder schon gestern? Mit dem Auto?«
    »Ja, aus Paris.«
    »Aus dem grauen Paris. Alleine?«
    Nickend hebt Hartmut die Hände.
    »Vor zehn Minuten eingetroffen. Die Adresse hab ich mir im Internet besorgt. Heute Morgen im Hotel, alles ganz spontan.«
    »Bist du auf der Durchreise nach Portugal?«
    »Mal sehen, vielleicht. In erster Linie bin ich deinetwegen gekommen. Wollte mir dein Weinlokal anschauen.«
    Bernhard macht eine kreisende Kopfbewegung, der Hartmut entnimmt, dass er lieber nicht sofort darauf angesprochen worden wäre. Seine blauen Augen haben etwas Durchdringendes, das manche Studenten einschüchternd fanden. Als wollte er alles von einem wissen, hat Maria einmal gesagt. In der Tat fragt Bernhard gern und viel und behauptet selbst, es sei ein inneres Unbehagen, das er dadurch abzuschütteln versuche. Besonders Fremden gegenüber.
    »Hat früher einem Studienfreund gehört«, sagt er jetzt, »der es loswerden wollte. Ein Weinlokal hätte es werden sollen, und ich hab ein paar gute Flaschen im Angebot. Leben könnte ich davon nicht.«
    Die Bedienung bringt ein zweites Bier. Sie stoßen an und trinken, danach fasst Bernhard die letzten drei Jahre in wenigen Sätzen zusammen: Übernahme des Lokals mit dem Ziel, den anspruchsvolleren Urlaubsgästen eine feste Adresse zu bieten; die schnell reifende Einsicht, dass die Zahl der Kunden nicht ausreichte für ein breites Angebot. Jetzt heule er mit den Wölfen und trinke die guten Weine selbst. Wie früher untermalt er seine Rede mit Gesten, die ein väterliches Erbe sein könnten. Ruhig und gemessen. Nachdem er seinen Bericht beendet hat, kommt er auf die Frage nach dem Anlass von Hartmuts Besuch zurück.
    »Alleine unterwegs in Frankreich, das klingt ungewöhnlich. Wo ist deine Frau?«
    »Maria arbeitet. Ich musste raus aus Bonn.« Um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, begnügt Hartmut sich mit einer unbestimmten Geste in Richtung seines Kopfes. »Kleine Auszeit vom Reformstress. Es ist seit deinem Abgang nicht besser geworden.«
    »Wo arbeitet sie?«
    »An einem Berliner Theater. Falk Merlinger, du erinnerst dich. Im Moment ist sie mit der Truppe in Kopenhagen.«
    »Okay. Aber ihr seid noch ...?« Bernhards Hände hängen in der Luft, als wüsste er nicht, wie man das Wort ›zusammen‹ gestisch ausdrückt.
    »Seit zwei Jahren führen wir eine Wochenendbeziehung. Angeblich tut uns das gut. Bewahrt uns vor dem Einrosten.«
    »Die Euphorie steht dir ins Gesicht geschrieben.«
    »Die ganze Geschichte erzähl ich dir später. Im Moment bin ich gedanklich noch bei deiner. Du betreibst also eine Bar.« Hartmut schaut sich um, als würde ihm das erst jetzt auffallen.
    »Ich weiß, was du meinst. Eine Bar.«
    »Es interessiert mich einfach. Ist es besser als an der Uni?«
    »Es war für den Übergang gedacht, von der Uni in was Besseres. Hätte kein Dauerzustand werden sollen. Was als Nächstes kommt ... on verra. Sparen wir uns die langen Geschichten für später auf.« Lächelnd lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. Vielleicht in Reaktion auf Hartmuts Blick fügt er hinzu, dass er gutes Geld verdient und im letzten Frühjahr ein Haus gekauft habe. Eine Autostunde landeinwärts, mitten in der Heide. Während der Saison wohne er in einer kleinen Wohnung über der Bar, von Herbst bis Frühjahr schaue er nur ab und an vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Daraufhin schweigen sie, und Hartmut glaubt, in der Ferne den beharrlichen Takt der Wellen zu hören. Der Betrieb in den Straßen nimmt weiter zu. Gegenüber der Taverne wird Eis verkauft in hundert verschiedenen Sorten. Bob Marley singt den Redemption Song .
    Hier sitzen wir, denkt Hartmut zufrieden. Drei Jahre sind eine Zeitspanne, in der Erwachsene sich verändern, ohne dass man sagen könnte wie. Schon in Bonn war Bernhard ein reifer und dabei merkwürdig unfertiger Mensch. Ebenso feinsinnig wie ungeschickt, verliebt in alles Mehrdeutige, aber mit festen Überzeugungen und einer bisweilen schroffen Art, sie zu äußern. Mit vierzig hatte er

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