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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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begonnen, Chinesisch zu lernen, und auf die Frage nach dem Warum geantwortet, man könne schließlich nie wissen. Hauptsache keine Scheuklappen.
    Jetzt zieht ein nachdenkliches Lächeln über sein Gesicht. »Ich hab immer gedacht, wenn überhaupt, dann wirst du vorbeikommen, ohne dich vorher anzumelden. Es passt nicht zu dir, ist aber die einzige Möglichkeit.«
    »Du kennst mein Leben: Bonn und Portugal. Was dazwischen liegt, ist mir nur vom Drüberfliegen bekannt.«
    »Also gar nicht. Wie geht’s Philippa?«
    »Gut. Nehme ich jedenfalls an. Sie studiert in Hamburg und schneit nur selten in Bonn vorbei. Im Moment lernt sie Spanisch in Santiago. Falls sie Zeit hat, fahre ich von hier aus für ein paar Tage hin.«
    »Bin ich in Bonn so was wie eine Persona non grata?« Die Frage untermalt Bernhard mit einem Hochziehen der Augenbrauen, das nicht erkennen lässt, wie ernst er sie meint.
    »Die Parteilinie lautet, du hast dich eben verzettelt. Deine Vorstellungen von Universität passen nicht ins einundzwanzigste Jahrhundert. Sie ruhen sanft auf dem Friedhof von Bologna.«
    »Solange man im Namen des einundzwanzigsten Jahrhunderts spricht, darf man heute wirklich jeden Unsinn behaupten.«
    »Zum Beispiel den: Menschen sind Relaisstationen eines fortlaufenden Austauschs und der lebenslangen Verarbeitung von Informationen. Der Satz fiel in einer Ringvorlesung zum Thema Kommunikation, an der ich letztes Jahr mitwirken musste. Informationen, nicht Gedanken.«
    »Relaisstationen, nicht Persönlichkeiten. Was glaubst du?«
    »Was ich dir am meisten verübele, ist, dass Herwegh und Breugmann hinterher auf deinen Fall verweisen konnten, um für ihr Steckenpferd zu werben. Eine Habilitation hätte dir deine Flausen nämlich gründlich ausgetrieben, davon sind sie bis heute überzeugt.«
    Dafür hat Bernhard nur ein müdes Lächeln übrig. »Unverbesserlich, die beiden. Manchmal vermisse ich sie.«
    Inzwischen sind um sie herum alle Tische besetzt, größtenteils von Gruppen junger Leute. Die Sonne steht tief und schickt ihre Strahlen über den Ort. Ein angenehm warmes Zwielicht, das aus dem lodernden Himmel fließt.
    »Was denkst du selbst?«, fragt Hartmut. »Gilt immer noch, dass du den Schritt nicht bereust?«
    »Mal so, mal so. Unterm Strich bleibt mir mehr Zeit für die Arbeit als dir. Und das ohne den Zwang zum ständigen Publizieren.«
    »Arbeit? Tatsächlich.«
    »Was denn sonst?« Zum ersten Mal reagiert Bernhard so, wie es ihm seinerzeit in hitzigen Diskussionen unterlaufen ist. Erst nur ein wenig ungehalten, aber reizte man ihn dann weiter, begann er sich zu ereifern, und der Eindruck von Souveränität verschwand hinter einer verständnislosen, leicht angeekelten Miene.
    »Ich dachte, du hättest das alles an den Nagel gehängt.«
    »Dachtest du. Mir ist das nie in den Sinn gekommen. Ich wollte bloß nicht länger kollaborieren mit diesem schwachsinnigen System. Das ist übrigens, was ich dir am meisten verübele, dass du dich auch noch bereit erklärt hast, die Studienordnung zu entwerfen. Hast du doch, oder?«
    Bevor Hartmut antworten kann, kommt die Bedienung und verwickelt Bernhard in ein Gespräch. In der Bar nebenan folgt lautes Johlen auf das Geräusch zerspringenden Glases. Schon acht Uhr vorbei. Auf den Gassen tragen Männer ihre Muskeln zur Schau und blicken jungen Frauen hinterher. Hartmut nimmt einen Schluck Bier. Warum fühlt er sich auf einmal so sehr im Einklang mit sich? Frei von dem Bedürfnis zu widersprechen, sich zu verteidigen, recht zu behalten. Die Verspannung in seinem Rücken ist verschwunden, er möchte das Meer sehen und dann weitertrinken und reden. Erst als Bernhards Angestellte ihn für einige Sekunden mustert, fällt Hartmut auf, dass er still vor sich hin lächelt.
    »Pardon«, sagt Bernhard, nachdem er die Besprechung beendet hat. »Für heute Abend ist jemand ausgefallen. Am besten trinken wir aus, dann zeig ich dir ein Hotel. Meine Wohnung ist zu klein, außerdem geht der Trubel bis spät in die Nacht. Wie lange hast du vor zu bleiben?«
    »Paar Tage. Zum ersten Mal, seit ich weiß nicht wie vielen Jahren, bin ich ohne festen Zeitplan unterwegs.«
    »Es muss was richtig Schlimmes passiert sein.«
    »Bevor ich’s dir erzähle, würde ich gerne dem Atlantik Hallo sagen. Auf den freue ich mich schon den ganzen Tag.«
    Bernhard nickt und trinkt. Dann hält er inne, als suche er nach dem abgerissenen Faden ihres Gesprächs.
    »Weißt du, mir fiel eben ein, wie Breugmann einmal in mein

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