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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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fächeln sich mit chinesischen Fächern die warme Luft zu.
    Olga, 54, arbeitet schon seit zwölf Jahren hier. Vorher hat sie am Band gestanden, in einer Regenschirmfabrik. Dann hat die Fabrik geschlossen. Aber hier sei es sowieso besser. Sie wirft die haarspraysteifen blonden Locken in den Nacken. Sie verkaufe hier jede Qualität, Webpelze und Nerze, auch Russisches Murmeltier und Biberratte. Einen echten Pelzmantel gibt es für 800 Dollar. Aber es geht auch billiger. Aus der Tiefe der Tierfelle kommt Ludmilla, 37, ihre Chefin. Sie hat sich einen schwarzen Nerzgürtel um den Hals gelegt und hängt einen Mantel zurück. Auf dem angehefteten Schild steht: »›Smoothfair‹, made in Greek. Italian Design«. Natürlich kommt er aus Rußland. Sie lacht. Am wichtigsten bei ihrem Job sei, etwas Schönes zu erzählen. Jede Woche hat sie frische Ware aus den großen Lagern in Moskau und St. Petersburg. Manchmal fährt sie selbst, manchmal beauftragt sie eine Spedition. Und der Zoll? Auch ein Zollbeamter habe Kinder, sagt sie. Es gebe Vereinbarungen. Ihr Geschäft gehe gut. Hier auf dem Feld der Wunder bezahle sie 500 Dollar Miete. In einer Containerstraße würde sie 6000 Dollar bezahlen, in der teuren Rosa Straße, gleich beim Parkplatz, noch mehr. Und welcher Mantel gefällt ihr am besten? Welcher? Sie lacht auf. Oh alle, alle ziehe sie an, jeden Tag einen anderen. Ihre Haare schimmern kupfern im Dunkel, ihr Teint hat die Farbe von Honig. Ihre runden Augen leuchten. Warum sind die Frauen aus Odessa so schön? In unseren Adern fließt das Blut von 60 Nationen, sagt Olga. Und Ludmilla wirft die Arme in die Luft: Das macht der Süden, der Süden, alles brennt! Alles brennt!
    Die Männer auf dem »7 km« jedenfalls krempeln sich die T-Shirts hoch bis unter die Brustwarzen und zeigen ihre braunen, schweißglänzenden Bäuche. Wo sich in der Versetzung der Straßen kleine Plätze bilden, sammelt sich der Plastikmüll wie tropischer Schnee. Raben mit aufgerissenen Schnäbeln patroullieren. Eine Katze hat in einem Karton geboren. Auf einer gekippten Krawtschutschka ist ein Träger eingeschlafen. Wir kaufen uns frisches Joghurt, das ein Kiosk mit Milchprodukten anbietet. Lora, sagt Kirill und löffelt aus dem Becher, hat gesagt, wir sollen zu Julia gehen.
    Julia, 26, bläst sich Luft unter die Spitzen ihres schwarzen Push-Ups, die aus dem roten Top hervorschauen. Zwischen ihren Brüsten liegt ein Kreuz. Gerade hat sie Kartons umgeschichtet. Da sie keine Regale besitzt, muß sie die Ware stapeln. Sie zieht die weißen Arbeitshandschuhe aus. Julia verkauft Elektroartikel im billigsten Areal des Marktes, da wo auch die Straßen der Chinesen laufen. Immerhin besitzt sie jetzt ein Zelt. Sie hat auf Zeitungen angefangen, vor acht Jahren, mit ihrem Bruder Andrej. Jetzt ist Andrej im Gefängnis. Ein Autounfall, dabei ist doch seine Frau gefahren. Aber die ukrainischen Männer erledigen das so. Julia setzt sich breitbeinig auf einen Karton mit einem Staubsauger. Ihre schmalen, muskulösen Arme stützt sie auf die Jeans, ihre Füße stehen fest in dicken Turnschuhen. Ihre Figur kommt nicht aus dem Fitneßstudio, sondern von der Arbeit. So begabt war Andrej, sagt sie, den ersten Preis hat er für sein Diplom bekommen. Bauingenieur wollte er werden. Aber im 4. Semester war er schon Vater. Jetzt macht sie also allein weiter. Bis Andrej zurückkommt.
    Ihre Kunden sind meist Zwischenverkäufer, Leute aus den armen Dörfern, die mit einem Sammelpaket verschiedener Elektroartikel – zwei Bügeleisen, ein Föhn, ein Wasserfilter, drei Mixer – zurückfahren. Sie berät sie, macht Vorschläge, was man brauchen könnte. Wenn die Kunden erfolgreich weiterverkauft haben, kommen sie wieder. Sie stellt ihnen ihre persönlichen Pakete zusammen. Sie schichtet, sucht, baut um. Ihre Kartons sind dauernd in Bewegung. 500 bis 1000 Dollar verdiene sie im Monat, je nach Saison. Man muß Geduld haben, sagt sie. Im Februar passiert gar nichts. Ihre Artikel kommen meist aus China. Und sie hat eine eigene Marke erfunden »Esperanza«, eine Serie von »Esperanza«-Mixern. Sie lacht. Das geht ganz einfach, sagt sie. Du kannst nach China gehen und sagen, ich will Mixer kaufen, aber mit meinem Namen. Dann machen die das. Seither wird sie auf den Bestellisten auch als »Julia Esperanza« geführt. Wieviel Stunden sie arbeite? Oh, sagt sie, frage mich, wieviele Stunden ich schlafe. Und? Drei, vier. Einmal hat sie Ökonomie studiert, auf der Abendschule, und zugleich auf

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