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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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»7 km« ist schön. Schnell, hektisch, ein heißer Rausch, der verspricht, daß alles, alles zu haben ist. Verkauft werden italienische, französische, deutsche Markenartikel aus China, Rußland, der Türkei, der Ukraine. Hier pulsiert, hier kocht der gar nicht diskrete Charme der Kopie. Es ist eine ungeheure Energie, die selbstironisch noch die Kopie kopiert und die internationalen Produktlabel als bunte Muster auf Servietten druckt. In der Wirklichkeit der Schiffscontainer ist die Fälschung das Echte.
    Wenn das moderne Odessa sich als ein schreiendes Konglomerat präsentiert aus Sowjetzeit, restaurierter Donaumonarchie und McDonald’s, dann ist der »7 km« dagegen ästhetisch souverän. Es scheint, als habe er das »form follows function« des klassischen Designs geradezu spielend stilsicher befolgt. Die Idee des minimalistischen Container-Markts hat sich mittlerweile bis in die Provinz ausgebreitet. Der »7 km« aber gilt als Urform der neuen halblegalen Warenmärkte der ehemaligen Sowjetunion. Vom Schwarzmeerstrand, wo der verbannte Dichter einst trist aufs Wasser sah, könnte er heute die Ausfallstraße Richtung Odessa nehmen. Und einkaufen gehen, seine Plastiktaschen mit einem Fahrradgummi an seine Krawtschutschka festgeschnallt.
    Unter dem ersten Präsidenten Leonid Krawtschuk erfand sich der frische Handel in der Ukraine 1991 ein neues Transportmittel. Was das Schiff auf dem Meer, ist die Krawtschutschka in der Containerstraße. Und wie Ozeandampfer und Einbäume auf je ihre Weise seetüchtig und steuerbar sind, so gibt es die Krawtschutschka für die vorsichtig ihre Füße setzende Pensionärin, die mit einem der pendelnden Kleinbusse aus Odessa zum »7 km« kommt, für die sportliche Zwischenhändlerin, die mit einem Überlandbus aus Kiew oder Dnepropetrovsk anreist, wie für den angeheuerten Träger mit tätowiertem Oberkörper, der – seine Zeit ist sein Geld – rennend Container be- und entlädt. Im Prinzip ist die Krawtschutschka ein handbetriebener Gabelstapler auf zwei Rädern, aus Leichtmetall oder Eisen, die Räder aus Plastik von einem alten Kinderwagen oder aus Vollgummi von einem Flugzeugwrack.
    Der Markt ist sauber. Müllmänner und Müllfrauen in neonfarbenen Schutzjacken fegen. Viele von ihnen tragen das Punktezeichen, das sie als Stumme kennzeichnet. Die weißgetünchten Plumpstoiletten haben etwas von südlichen Umkleidekabinen am Strand; für 50 Kopijok, eine halbe Griwna, kann man sich an der Eintrittskasse ein Stück von einer Klopapierrolle abwickeln. Auf dem Markt wird in drei Währungen gerechnet. 5 Griwna sind 1 Dollar; 7 Griwna 1 Euro. In der »Privatbank« kann man wechseln und tauschen. Der Kurs ist besser als in den meisten Geldinstituten der Stadt.
    Der Markt ist sicher. Vitali, 24 Jahre, verschränkt stolz die nackten Unterarme. Gerne läßt er sich von Kirill photographieren. Seit zwei Jahren arbeitet er hier als einer von 1500 Wächtern und trägt das helle Kakibeige der Security. Er kommt aus Kotowsk; dort gibt es eine Brotfabrik und eine Möbelfabrik, und eigentlich wollte er Pfarrer werden. Dann ist er doch bei den Möbeln gelandet, zwölf Stunden am Tag für 800 Griwna im Monat. Er lächelt. Seine Zähne sind braun. Als er vom »7 km« hörte, erkannte er sofort seine Chance. Hier gab es 1500 Griwna für eine Arbeit, die interessanter war. Vitali arbeitet in Schichten von 24 Stunden, und drei Tage die Woche hat er frei. Und wenn er frei hat, arbeitet er. Auf einer Baustelle. Und wann er schlafe? Er schlafe nicht. Er ist zuständig für einen 10er-Block von Containern. Er beobachtet, welche Container geschlossen bleiben, überprüft die Schlösser, macht einen Rundgang, notiert nachts die Bewegungen der Autos, die ausladen. Vitali lockert die muskulösen Arme. Nein, eine Freundin habe er nicht, sagt er, dazu habe er keine Zeit. Er spare. Auf was? Auf ein Auto, sagt er und strahlt. Denn dann könne er mit dem Auto zur Arbeit fahren.
    Die Luft flimmert vor Hitze. Ein ungeheurer Glanz adelt noch die schäbigste Containerwand. »Füße, Vorsicht!«, schreien die mit Krawtschutschkas rennenden Träger, »schlaf nicht ein, sonst frierst du.« Der »7 km« heißt bei denen, die ihn lieben, auch »Schubsermarkt«.
    Auf einmal steht ein zweiter Sicherheitsmann neben uns. Warum Kirill photographiere, fragt er. Und dann geht es ganz schnell. Erst zum kleinen Chef in einem schummrigen Kabuff, von dort zum größeren Chef in einem Gebäude, Treppe hinauf. Im Büro mit den

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