Fließendes Land (German Edition)
Kunstledersesseln läuft ein Fernseher, eine Liebesgeschichte. Der Sekretär lächelt verlegen, der Chef fragt, ob wir was trinken wollen. 33 Jahre lang war er Oberst, viele der Sicherheitschefs hier kommen vom Militär. Wie viele es sind, will er nicht sagen. Unter ihm arbeiten 80 Sicherheitsleute, zuständig für 8000 Verkäufer. Dann kommt der nächsthöhere Chef. Der macht nur die Geste sich kreuzender Arme, die ruckartig auseinanderschnellen. Er zündet sich eine Zigarette an und erklärt beiläufig, man solle uns sofort zum Ausgang bringen.
Der Chef der Chefs heißt Victor A. Dobrjanski. Er ist Direktor der ehemaligen Sowchose »Avangard«, die heute » AG Avangard-D« heißt, »D« wie Dobrjanski. Ihm gehören verschiedene Ländereien, Immobilien und der »7 km«. Alle, die hier etwas verkaufen – und seien es nur Sesamkringel aus einem Schuhkarton oder um ihr Leben rudernde Langusten in einer Plastiktüte –, bezahlen. Herr Dobrjanski ist nicht da. Kirill spricht ins Handy, wie seit Tagen. Sein Vertreter ist im Augenblick ebenfalls nicht da. Sein Pressesprecher, zugleich Leibwächter, persönlicher Assistent, Fahrer, Sekretär, ist da, gibt aber keine Interviews. Dafür gibt es ja die Internetseite. An Photographien hat der »7 km«-Markt kein Interesse. An ausländischen Zeitschriften noch weniger. Wir nehmen den nächsten Eingang in den Markt zurück.
Es ist heiß. Die Sonne fährt in den Asphalt wie in einen Energiespeicher. Wir werden von unten und oben angestrahlt. Und wir wollen lieber nicht wissen, was unter dem Asphalt alles liegt. Wir trinken Mineralwasser aus Plastikflaschen. Oder Kwas, das Gebräu aus Malz, Roggenbrot, Zucker und Wasser, das aus großen Tanks verkauft wird. Wir suchen Schatten im Innern von Containern. Wände voller Rollschuhe wie überdimensionale Bonbons. Ein Rüschenmeer von giftigweißen Blusen, bewacht von zwei blondierten Damen, die, als sie die Kamera sehen, ihre überschminkten Münder synchron aufreißen wie schnappende Fische. Ein Container voller silberner und goldener High Heels. Parfüme. Auf Metallkreise aufgespannte Unterhosen, straff wie startbereite Propeller. Plüschherzen in Kirschrot und Plüschdelfine in Himmelblau. Manche Container sind mit Scheinwerfern ausgeleuchtet, an anderen Ecken baumelt eine Sparglühlampe in einer abgeschnittenen Plastikwasserflasche. Immer wieder Standarten mit wehendem Mädchenhaarschmuck, eine zu Plastikschaum geronnene duftige Gischt.
»Ah, Tolik«, ruft Kirill. Und Tolik aus Nigeria strahlt mit den weißesten Zähnen und der rosasten Zunge vor seinen deutschen Turnschuhen aus Ungarn und China. Sein Verkaufsstand ist nur die Außenwand eines Containers. Ihm reicht das. Er begrüßt uns mit Handschlag. Er sieht glücklich aus. Ja, er habe elf gute Jahre hier verbracht. Es gibt keinen Grund, über Geld zu reden. Er hat eine ukrainische Frau und ein Kind von sieben Jahren. Einmal hat er Betriebswirtschaft studiert. Seine Frau arbeitet in einer Bank. »You are welcome«, ruft er, und wir werden weitergeschwemmt durch Schildmützen und Taschen und T-Shirts und Gürtel und BH s und Schals. Alles Gucci und Adidas und Dior und Lacoste und Boss und Armani und Chanel.
Komm aufs Feld der Wunder, sagt Kirill und zieht mich am Arm. Wir rudern weiter. Nun keine Container, sondern Nischen, ausklappbare Holzkästen, wie die der Pariser Bouquinisten, Holzbretter als Theken. Einer verkauft Rollen mit Labels zum Aufnähen, sie kosten zwischen 80 und 130 Griwna, je nach Baumwoll- oder Satinqualität, ob »Gaultier« oder »Kangol« ist egal. Es gibt Transferfolien zum Aufbügeln mit Tigern oder Totenköpfen. Plastikbeutel voller Pailletten. Muster von Visitenkarten, wie sie die Standbetreiber bestellen können. Der Markt verkauft auch, was die Verkäufer auf dem Markt brauchen. Natürlich die globalen gewebten Karo-Plastiktüten in allen Größen, Fahrradgummis, Krawtschutschkas. Manche der improvisierten Stände sind durch gespannte Dächer miteinander verbunden. So teilt man sich den kostbaren Schatten. Eine Straße voller Brautkleider; eine Straße voller Frotteetücher, Straßen voller Lederjacken oder Plastikjacken, die wie Lederjacken aussehen. Dann die Straßen der Pelze. Hier ist es dunkler und so eng, daß die Tierhaare kitzeln. Es riecht nach Wild. In der Intimität der Tierfelle läßt sich ein halbnackter Mann massieren. Auf niedrigen Hockern warten Verkäuferinnen auf Kunden. Oder sie stehen an einen Nutriamantel gelehnt und
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