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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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sie gelangweilt an und verneinte mit einer Kopfbewegung. Gegenüber ein Einkaufszentrum. Sie sah ihren Schatten in den Schaufenstern von Billigketten.
    2.
    Die Äbtissin schloß einen Gang auf, sie gingen an Grabsteinen vorbei. Nun die Tür zur Sakristei, die Pforte zur Kirche. Die Äbtissin entschuldigte sich für die 19. Jahrhundert-Malerei. In Mariensee hätten sie Backsteingotik gehabt und bedeutende Kunstschätze. Sie erzählte von einer Ausstellung »Krone und Schleier«. Diese Altartücher, sagte sie, Flußperlenstickerei.
    Unsere Damen wissen, daß sie hier sterben dürfen, sagte sie. Wir leisten hier auch Hospizarbeit. Und wenn das Geld nicht mehr reicht, übernimmt die Klosterkammer die Kosten. Man darf die eigenen Möbel mitbringen. Wenn ein akuter Fall in die Klinik muß, sage ich immer, ihr dürft den Waschlappen und die Zahnbürste vergessen, aber nicht die Patientenverfügung. Die Patientenverfügung wird jedes Jahr neu gegengezeichnet. Meist im Februar, wenn das Licht wieder da ist.
    Als sie in den Trakt des Altenheims einbogen, schob eine Dame mit strenger Knotenfrisur einen leeren Rollstuhl durch den Gang. Eine ehemalige Tänzerin, sagte die Äbtissin, sie ist 95 Jahre alt.
    3.
    Frühstück. Ein kleines Wohnzimmer, vier Frauen um einen gedeckten Tisch. Buchrücken in einer dunklen Schrankwand, Kartons mit Gesellschaftsspielen. Das ist unsere Schriftstellerin, sagte die Äbtissin, um sich mit der Begrüßung wieder zu verabschieden, sie schreibt über Marienwerder. Drei Frauen sahen auf. Die erste lächelte milde über einem üppigen Seidenschal, den sie zu einer Fliege gebunden hatte. Die zweite lächelte abwesend. Die dritte hatte den Kopf schon wieder gesenkt, als müsse sie unter ihrem weißen Bubikopf in Deckung gehen.
    Brotscheiben im Körbchen. Unter einer dicken, grüngrauen Plastikhaube Käseaufschnitt. Kaffee in der Thermoskanne.
    Die vierte fragte mit strengem Blick: Was schreiben Sie?
    Ich werde sie alle kennenlernen, dachte sie. Vor ihr lag ein Stofftäschchen mit einer Stoffserviette. Auf einem Stück Kreppklebestreifen war ihr Name geschrieben.
    Ich war Konzertgeigerin, sagte die vierte nun. Ich habe für den RIAS gespielt. Mein Sohn war Manager von Tangerine Dreams. Heute ist er Filmkomponist in Hollywood. Wenn er nach Los Angeles fährt, auf der Autobahn, dann hat er Zeit. Dann telephoniert er mit mir. Er hat mir ein Auto geschenkt.
    Ich schreibe über ein Aquarium, antwortete sie, ein Aquarium, das in einem Flughafen steht.
    4.
    Mittagessen. Die Äbtissin präsidierte am Tisch, rechts acht Frauen, links neun Frauen. Man hatte sie dazwischengesetzt. Vor ihrem Teller stand eine kleine Rose im Wasserglas. Weil sie heute neu dabei war. Sie nehmen mich auf, dachte sie. Für sie gehöre ich gleich dazu. Sie war eine Frau von 50 Jahren, Mutter einer erwachsenen Tochter. In diesen Tagen würde sie ihr Kind sehen, es studierte eine Zugstunde entfernt. Sie hörte die Äbtissin ein kurzes Gebet sprechen. Dann spürte sie, wie rechts und links nach ihren Händen gegriffen wurde. Gesegnete Mahlzeit. Die Hände wurden wieder losgelassen. Wir machen das seit dreißig Jahren, wir werden nicht krank.
    Seit dreißig Jahren, dachte sie, und sah die Frau vorsichtig an. Mohairpullover, Blutorange, Maulwurfsaugen. Nur eine leichte Drehung und ein paar Jahre zurück, und sie wäre ein Vamp.
    Schüsseln wurden weitergereicht, Platten: Kartoffelbrei, panierte Fischstückchen, Salat aus Gurkenscheiben und Endivienblättern. In Glaskrügen Leitungswasser zum Trinken. Die Frauen begannen zu essen. Noch spürte sie eine leichte Befangenheit im Raum, die von ihrer Person ausging. Aber schon griffen Blicke nach ihr. Das Essen schmeckt nach den 50er-Jahren. Meine Kindheit, dachte sie, ihr Erwachsenenleben.
    Hier saßen ehemalige Lehrerinnen und Krankenschwestern, Sekretärinnen, Künstlerinnen. Hausfrauen und Mütter. Geliebte und Betrogene. Nach dem Ende der Berufstätigkeit, nach dem Tod des Ehemanns, nach der Scheidung waren sie in eines der reformierten Klöster der Klosterkammer eingetreten. Ein Frauenprojekt im Alter. Dort hatten sie mietfrei gewohnt, selbständig gewirtschaftet und für ihr Kloster kleinere Arbeiten übernommen, meist Führungen, Büroarbeiten, Kartenverkauf. Sie waren Konventualinnen, Äbtissinnen gewesen in Ebstorf, Fischbeck, Mariensee, Meding, Wienhausen, Lüne.
    In Marienwerder wurden sie nun von der Äbtissin und drei weiteren Konventualinnen als Gehende betreut.
    Die Platte mit den

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