Flinx
dein Anderssein für dich behalten, sonst plagt uns wieder diese lästige Aufmerksamkeit fremder Leute.«
»Das ist alles so albern, Mutter. Nur weil ich manchmal spüren kann, was andere Leute fühlen?«
»Ja, das. Und vielleicht noch mehr.«
»Mehr gibt es nicht. Das ist alles, was ich kann.«
»Wirklich, Junge? Wie bist du diesen Leuten entkommen?« Sie blickte an ihm vorbei, zur Straße hinaus, plötzlich besorgt. »Werden die wieder auftauchen?«
»Das glaube ich nicht. Die meisten waren tot, als ich wegging. Ich weiß nicht, wie ich ihnen entkommen bin. Ich glaube, einer von ihnen hat auf etwas geschossen, das explosiv war, und es ist in die Luft geflogen. Ich bin aus dem Gebäude herausgeblasen worden auf die Straße.«
»Dann hast du Glück, dass du noch lebst, scheint mir, wenn ich mich auch frage, welche Vorsehung dir da geholfen hat. Vielleicht ist es so am besten. Vielleicht ist es am besten, wenn du gar nicht zuviel über dich weißt. Dein Verstand war immer schon deinem Körper voraus, und vielleicht gibt es noch etwas anderes, das auch dem noch voraus ist.«
»Aber ich will nicht anders sein«, beharrte er und weinte fast. »Ich möchte so sein wie alle anderen.«
»Ich weiß schon, Junge«, sagte sie sanft, »jeder von uns muss die Karten ausspielen, die das Schicksal uns zuteilt. Und wenn du den Joker hast, dann musst du einfach lernen, damit klarzukommen und ihn irgendwie zu deinem Vorteil ausnützen.«
»Ich will keinen Vorteil! Nicht wenn er solchen Ärger bereitet.«
»Das will ich nicht hören, Junge! Ein Unterschied kann immer zum Vorteil sein. Es ist Zeit, dass du dir einen Beruf auswählst. Ich weiß, dass du keine Lust hast, einen Laden wie den hier zu führen. Was würdest du denn gerne machen?«
Er überlegte eine Weile, ehe er Antwort gab. »Was mir wirklich Freude macht, ist, wenn ich andere Menschen glücklich machen kann.«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Manchmal denke ich, du hast nicht genügend Selbstinteresse, um dich am Leben zu erhalten. Aber wenn du das gern tust, dann musst du irgendeinen Weg finden, um dir damit deinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
»Manchmal träume ich davon, Arzt zu werden und die Leute zu heilen.«
»Ich würde dir raten, dein Ziel etwas niedriger anzusetzen, Junge.«
»Also gut. Dann Schauspieler.«
»Nein, nicht so tief. Sei doch vernünftig. Such dir etwas aus, das du jetzt tun kannst, ohne Jahre des Studiums.«
»Ich könnte hier auf dem Markt auftreten«, sagte er nachdenklich. »Ich kann ganz gut jonglieren. Du hast mich ja gesehen.«
»Ja, und dich oft genug angeschrieen, weil du mit meinen teuren Waren übst. Aber die Idee ist nicht schlecht. Wir müssen eine gute Straßenecke für dich finden. Vor diesen Leuten hier aufzutreten, sollte dir keinen Ärger eintragen. Aber jetzt geh hinein und leg dich hin. Du schläfst ja fast im Stehen ein. Und dass du mir ja dein Monstrum mitnimmst!«
Flinx hob den erschöpften Pip auf und ging ins Haus. Mutter Mastiffs Augen blickten ihm nach.
Was sollte nur aus dem Jungen werden? Irgendwie hatte er die Aufmerksamkeit mächtiger, gefährlicher Leute auf sich gezogen. Zumindest jetzt war die Chance recht gut, dass sie eine Weile nicht belästigt werden würden -, wenn diese Leute tatsächlich tot waren, wie Flinx gesagt hatte.
Wie er wohl entkommen sein mochte? Manchmal machte er ihr immer noch Angst. Oh, nicht weil er ihr je auch nur ein Haar krümmen würde, ganz im Gegenteil, wie ja seine hartnäckige Verfolgung und am Ende ihre Rettung in diesen letzten paar Tagen bewiesen hatten. Aber in diesem Knabenkörper waren Kräfte am Werk, Kräfte, die das Begriffsvermögen einer einfachen Ladenbesitzerin überstiegen, Kräfte, die er vielleicht nicht würde kontrollieren können. Und daran war mehr als nur das Lesen der Emotionen anderer.
Dessen war sie sicher. Wieviel mehr, konnte sie nur argwöhnen, denn dass der Junge selbst diese Kräfte bis jetzt noch nicht kannte, war offenkundig.
Nun, sollte er ruhig eine Weile als Jongleur auftreten, das war ganz sicher harmlos. In diesem Beruf sollte er nicht viel Ärger bekommen.
Das sagte sie sich den Rest des Nachmittags immer wieder, und auch am Abend noch, als sie dasaß und er schlief. Als sie schließlich ebenfalls ins Bett schlüpfte, dachte sie, sie hätte diese Ängste von sich geschoben, aber das war nicht der Fall.
Sie spürte, dass der Junge, der zufrieden und friedlich im anderen Zimmer lag, für mehr bestimmt war als ein Leben,
Weitere Kostenlose Bücher