Flirtverdacht Roman
Mitternacht. Das Café war nie zu voll, gegen acht kamen etliche Gäste zum Abendessen, die gegen zehn Uhr nach und nach wieder verschwanden, danach gab es noch einige späte Gäste. Es war ein relativ ruhiges Restaurant in einem relativ ruhigen Stadtteil hinter dem Eiffelturm und der École militaire im siebten Arrondissement. Das Quartier war bekannt dafür, dass hier viele französische Politiker und ausländische Botschafter lebten, daher der Spitzname »Washington D.C. von Paris«.
Pierre half mir vom ersten Tag an, mich einzuarbeiten. Er stellte mich den anderen Mitarbeitern vor, zeigte mir, wie die unglaublich komplizierte Espressomaschine funktionierte – ich schwöre, man braucht ein Studium, um damit klarzukommen! –, und wenn ich mit meinem Französisch ins Schwimmen geriet, korrigierte er meine ulkigen Übersetzungsfehler. Faux amis nannte er sie. Falsche Freunde. Englische Begriffe, von denen man meinen könnte, dass man sie direkt ins Französische übertragen kann, weil sie sich so ähneln. Dabei ist die Bedeutung in Wirklichkeit eine ganz andere. Wie bei préservatif , was in Frankreich »Kondom« bedeutet, also etwas ganz anderes als preservative, was amerikanische Weingüter in den Wein geben, um die Haltbarkeit zu verlängern. Ein Fehler, den ich nur ein einziges Mal gemacht habe.
An dem Job als Barkeeper gefiel mir besonders, dass ich mit Menschen zu tun hatte. Dass ich mich jeden Abend mit jemand anderem unterhalten konnte. Im Grunde war das sogar wichtiger als das Ausschenken. Und jedes Mal kam das Gespräch unweigerlich auf das Thema Beziehungen. Fast jeder Kunde, der sich mit mir unterhielt, redete irgendwann von der Liebe. Was schiefgelaufen war, wieso er sie nicht fand, wieso er sie nicht halten konnte.
Vielleicht lag es auch nur an mir. Vielleicht spürten die einsamen Herzen etwas von meinem vergangenen Leben – eine gewisse Menschenkenntnis – und wurden davon unweigerlich angezogen.
Auch Pierre und ich unterhielten uns viel. Normalerweise hatte er die Frühstücksschicht, aber er kam fast jeden Abend auf einen Drink vorbei, nachdem der größte Ansturm zum Abendessen vorbei war, setzte sich an die Bar und plauderte mit mir, bis es Zeit zum Heimgehen war.
Ich gewöhnte mich schnell an seine Gesellschaft. Er war mein erster echter Freund in Paris. Er war süß und witzig und ein guter Gesprächspartner. Außerdem konnte ich über seine ulkigen französischen Anekdoten und seinen ungewöhnlichen Humor lachen. Mich hat es schon immer fasziniert, wie unterschiedlich Scherze von Land zu Land sind. Was im Französischen komisch ist, bleibt in der Übersetzung nicht unbedingt genauso lustig. Der einmalige französische Charme geht dann leider oft verloren.
Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich schon auf Pierres Besuche freute. Besonders an ruhigeren Abenden, an denen ich nichts zu tun hatte und nur vor mich hin starrte, während sich das Café langsam leerte und die Gäste nach Hause in ihr Privatleben zurückkehrten.
Ein Montagabend Anfang Januar ließ sich genau so an. Es war kurz nach halb zehn, und im Café befanden sich nur noch zwei Geschäftsleute – ein Franzose und ein Amerikaner – am hinteren Ende der Bar. Sie unterhielten sich auf Englisch, so dass es mir leichtfiel, Gesprächsfetzen mitzuhören, während ich mich hinter der Bar beschäftigte. Ich polierte Gläser, reinigte die Espressomaschine und wischte die ledergebundenen Speisekarten ab.
Die Dialoghäppchen, die ich aufschnappte, wenn ich nach ihren Drinks sah, verrieten mir, dass die beiden offenbar mitten in wichtigen geschäftlichen Verhandlungen steckten. Leider keine besonders interessanten.
Ich sah auf die Uhr und blickte dann zur Tür. Pierre kam in der Regel zwischen halb zehn und zehn, und ich hoffte, dass er bald auftauchen würde, um mir an diesem öden Abend Gesellschaft zu leisten.
Ich musterte die beiden Geschäftsleute aus den Augenwinkeln. Der Franzose hatte einen hellgrauen Anzug an, ein rosafarbenes Hemd und eine babyblaue Krawatte. Ich hatte eine Weile gebraucht, um mich an den farbenfrohen französischen Stil zu gewöhnen. Insbesondere bei Geschäftsleuten. In den ersten Tagen in Paris war mir das geradezu komisch vorgekommen. Sie sahen eher nach einem Zirkusbesuch aus als nach Büro. Doch Pierre hatte mir erklärt, dass man in Frankreich Farben einfach sehr schätzte. Und dass das klassische amerikanische Business-Outfit auf Franzosen düster und farblos wirkte. Als würde man jeden Tag
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