Flitterwochen
knattert unser Zweitakter wieder, ist sie auch schon eingeschlafen. Jan und ich schweigen uns ein bisschen an, dann siegt meine Neugier.
»Jetzt sag doch mal, vorhin im Café – was hatte das zu bedeuten?«
»Also, pass auf …« Jan räuspert sich. »Gerda hat ja manchmal ihre, na ja, ihre Aussetzer. Dann reist sie im Kopf irgendwie in die Vergangenheit und denkt, sie ist noch in Pommern. Da kommt ganz viel hoch bei ihr, Erinnerungen an den alten Hof, an den Krieg, die Flucht und so. Und das regt sie immer fürchterlich auf. Um sie zu beruhigen, tue ich dann so, als wäre ich ihr Bruder Fritz, und rede mit ihr über die alten Zeiten. Das hilft.«
»Aha. Woher weißt du denn so viel über diese Zeit?«
»Ich hab in Gerdas Keller Bücher über Pommern entdeckt. Und alte Familiendokumente. Da habe ich mich ein bisschen schlaugelesen. Ich pass ja gerade auf sie auf, da muss ich doch Bescheid wissen.« Jetzt ist Jan ganz verlegen, als hätte ich ihn beim Rumschnüffeln erwischt.
»Schon okay. Aber was heißt das eigentlich: Du passt gerade auf sie auf? Ich denke, du bist Dozent an der Uni? Wer passt denn sonst auf Gerda auf? Die kann man ja wirklich nicht mehr alleine lassen!«
»Also, das ist so: Meine Mutter ist Altenpflegerin und wurde von Gerdas Familie engagiert. In der Woche wohnt sie bei Gerda und kümmert sich um sie. Am Wochenende fährt sie zu uns nach Hause. Wir wohnen in Stettin. Deswegen war meine Mutter auch so glücklich, einen Job in Lübeck gefunden zu haben. Ist ja nicht mehr so weit, seit die Autobahn fertig ist, so kann sie freitagnachmittags immer nach Hause pendeln. Da kommen dann die Söhne von Gerda und schauen nach ihr.«
»Jetzt ist aber gerade kein Wochenende. Wo ist denn deine Mutter?«
»Meine kleine Schwester hat ihr erstes Kind bekommen. Und da wollte Mama natürlich vor Ort sein und ihr helfen. Man wird ja nicht alle Tage Oma. Ich bin sozusagen der Aushilfspfleger. Dieses Jahr gebe ich an der Uni nur zwei Blockseminare, ich habe also Zeit.«
»Kennst du dich denn mit Altenpflege aus?«
»Na ja, nicht wirklich … Ich habe meiner Mutter allerdings im letzten Jahr schon zweimal geholfen und war jeweils eine Woche bei Gerda. Wir kannten uns also schon und wussten, dass wir uns mögen. Und das ist doch auch wichtig, vielleicht sogar wichtiger als die richtige Ausbildung.«
Ich lasse das mal so stehen, denke aber, dass eine examinierte Kraft dazu eine andere Meinung haben dürfte.
»Und was sagt Gerdas Familie dazu?«
»Äh, keine Ahnung. Die wissen das gar nicht.«
»Wie, die wissen das gar nicht?«
»Mama hatte so eine Angst, diesen Job zu verlieren, deswegen haben wir das für uns behalten. Ist ja nicht so lange, merkt doch keiner.«
»Ja, aber wenn nun einer von den Söhnen plötzlich vor der Tür steht?«
»Ha«, Jan lacht verächtlich. »Die stehen nicht plötzlich vor der Tür. Die sind froh, wenn sie so wenig wie möglich mit ihrer Mutter zu tun haben. In Deutschland steht die Pflege der eigenen Eltern ja offenbar nicht so hoch im Kurs.«
Ich schweige betroffen. Möglicherweise hat er recht.
»Du, Tine?«
»Hmm?«
»Das bleibt aber unter uns, okay?«
»Klar«, verspreche ich, »du machst das gar nicht schlecht mit Gerda, finde ich. Und wir sind ja schließlich Komplizen.«
Die Strecke nimmt irgendwie überhaupt kein Ende, wir fahren und fahren. Könnte allerdings daran liegen, dass ich mich auf diesen kleinen polnischen Straßen nicht traue, schneller als sechzig Stundenkilometer zu fahren. Jan hat ja schließlich gesagt, ich soll nicht so rasen. Dafür werde ich andauernd von hupenden Einheimischen überholt, die in halsbrecherischer Fahrt an uns vorbeischießen.
Irgendwann wird Oma Strelow wieder wach und muss schon wieder. Kaffee kriegt die so schnell keinen mehr.
»Diesmal gehe ich aber nicht in den Wald«, kräht sie. »Ich will eine ordentliche Toilette!«
Die hätte ich langsam auch gern mal. So richtig scharf bin ich nicht darauf, Jans Behauptung, es gebe in polnischen Wäldern wieder Wölfe, persönlich zu überprüfen. Kurz darauf fahren wir an einem riesigen Golfplatz vorbei. Auf einer Anhöhe thront ein imposantes Gebäude, und bestimmt handelt es sich dabei um das Clubhaus. Und bestimmt gibt es dort ein Klo!
Ich biege so plötzlich links in eine gepflegte Kiesauffahrt, dass die Steinchen nur so spritzen.
»Ey«, ruft Jan, der sich an der Tür festklammert. »Was soll das denn?«
»Du hast doch gehört: Oma muss mal.«
Oben am Clubhaus –
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