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Flitterwochen

Flitterwochen

Titel: Flitterwochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hertz
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unserem Sichtfeld. Das will er doch wohl nicht ernsthaft stehlen? Das ist doch viel zu groß!
    Ein paar Minuten später taucht sein Kopf an Deck auf, und er wedelt aufgeregt mit den Armen. Etwas zögerlich setzen Oma und ich uns in Bewegung.
    »Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise!«, schmettert er, als wir über eine breite Planke auf das Schiff eiern. O Gott, das schwankt ja mächtig.
    »Mensch, haben wir ein Glück«, freut sich Jan, als er uns in Empfang nimmt. »Stellt euch vor: Der Käpt’n ist über drei Ecken mit mir verwandt. Er erwartet gleich noch eine deutsche Reisegruppe, die einen kleinen Törn machen will. Und wenn die nichts dagegen hat, dann nimmt er uns mit. Fantastisch, oder?« Jan ist so ausgelassen wie ein Kind und hüpft auf und ab.
    Auch Oma Strelow ist begeistert und küsst die Urne. »Ach Heinzi, jetzt bist du wieder daheim!«
    »Wie lange soll denn dieser Törn dauern?«, hake ich vorsichtig nach.
    »Nicht lang, nur ’ne knappe Stunde.«
    Eine Stunde? Ich, auf See? Mir wird spontan übel, dabei hat sich der Kutter noch nicht mal in Bewegung gesetzt. Verkniffen nicke ich und hoffe insgeheim, dass die Reisegruppe ihr Veto einlegt. Schließlich haben die das Schiff für sich gebucht, man will ja auch mal unter sich sein.
    Die Reisegruppe, eine Meute von neun quietschfidelen Berliner Rentnern, hat leider überhaupt gar nichts dagegen, uns mitzunehmen. Ganz im Gegenteil: Als Jan ihnen Omas Geschichte erzählt, sind sie sofort gerührt, umringen Frau Strelow und klopfen ihr auf die Schulter. »Det is uns ’n Verjnüjen!«, krakeelt einer.
    Eine Dame mit leicht ins Lila gehenden, perfekt ondulierten Löckchen hakt sich vertraulich bei Oma ein. »Ich kann Sie so gut verstehen«, zwitschert sie, »meine Familie ist damals auch der Heimat beraubt worden. Wir kommen nämlich aus Schlesien.«
    »Sagen Sie bloß!« Oma Strelow ist hocherfreut, auf eine Gleichgesinnte zu treffen. Die beiden ziehen sich angeregt plaudernd auf eine der Holzbänke zurück und stecken die Köpfe zusammen.
    Jetzt erscheint der Kapitän auf der Bildfläche, ein kleiner dicker Mensch mit einem albernen Wikingerhelm auf dem Kopf, an dem rechts und links zwei falsche rote Zöpfe baumeln. Er sagt etwas auf Polnisch – »Es geht los«, erklärt Jan – und beginnt, die Taue zu lösen, dann lichten wir den Anker. Rudern müssen wir zum Glück nicht selber, der Kahn ist motorisiert.
    Alle laufen zur Reling und rufen »Ah!« und »Oh!«, dabei passiert gar nichts Aufregendes, außer dass wir langsam den Hafen verlassen und auf das offene Meer zusteuern. Mir ist nicht gut, mir ist gar nicht gut. Ich wanke zu Oma und ihrer neuen Freundin und lasse mich neben sie auf die Bank plumpsen.
    »Kindchen, geht’s Ihnen nicht gut?« fragt Frau Strelow mich besorgt, »Sie sind ja so blass. Und um die Nase sind Sie ganz grün.«
    »Geht schon«, ächze ich, »ich fahre nur nicht so gerne mit dem Schiff.«
    »Warten Sie, das haben wir gleich«, sagt Oma resolut und winkt Jan herbei.
    »Jan, deiner Freundin geht’s nicht gut. Die braucht mal einen Schnaps!«, bestimmt sie.
    »Schnaps hilft immer«, souffliert die Schlesierin aus Berlin.
    Wieso eigentlich
deiner Freundin?
Wie meint sie das? Hat sie wieder einen ihrer Aussetzer? Aber mir ist im Moment viel zu schlecht, um nachzufragen. Jan nickt derweil verständnisvoll und entschwindet Richtung Kapitänskajüte. Kurz darauf kommt er mit einer Flasche Wodka und einem Wasserglas zurück.
    »Hier, trink das. Dann geht’s dir besser.« Entschlossen kippt er das Wasserglas halb voll und hält es mir fordernd unter die Nase.
    Dieser Geruch! Ich würge ein bisschen und röchle: »Nee danke, ganz lieb gemeint. Aber ich muss doch noch fahren …«
    »Na, dann geben Sie mal her«, sagt die rustikale Rentnerin, nimmt Jan das Glas aus der Hand und kippt den Inhalt in einem Zug herunter. »Ah, das tut gut!«
    Jan guckt sie irritiert an, dann wendet er sich wieder mir zu. »Vielleicht solltest du etwas essen. Miroslav, also der Käpt’n, hat bestimmt polnische Wurst an Bord.«
    Essen? Ist der verrückt? Schon bei dem Gedanken verknoten sich meine Eingeweide. Der soll mich in Ruhe lassen mit seiner bekloppten polnischen Wurst. Ich winke ab. »Nee, lasst mich einfach mal einen Augenblick hier sitzen. Wird bestimmt gleich besser.«
    »Wenn du meinst.« Jan zuckt die Achseln und gesellt sich zu seinem entfernten Verwandten.
    Ich bleibe ermattet neben den beiden Seniorinnen sitzen und schließe für einen

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