Flitterwochen
schließlich doch noch ein Sandwich abgestaubt und pfeift ein fröhliches Lied, und auch Oma summt gut gelaunt vor sich hin. Wir kurven durch beschauliche Küstenorte mit kuriosen Namen – erst kommen gefühlte sechsundzwanzig Konsonanten und dann ein Vokal. Ich versuche, das, was ich auf den vorüberziehenden Schildern sehe, laut vorzulesen. Jan lacht sich schlapp.
»Okay, Tine, ich geb dir jetzt mal eine kleine Polnischstunde. Sprich mir nach: W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie.«
Ich versuche es und komme gerade bis »W Strz«
.
»Los, Tine, konzentrier dich, so schwer ist das gar nicht. Also noch mal: W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie.«
Oma kichert auf ihrer Rückbank.
»W Schschebrzlllpfffmmm«, mache ich und kapituliere.
Oma lacht jetzt lauthals, Jan wischt sich die Tränen aus den Augen.
»Was heißt das eigentlich?«, will ich wissen.
»Ganz einfach: In Szczebrzeszyn zirpt ein Käfer im Schilf. Ganz berühmter polnischer Zungenbrecher.«
Jan unterhält uns noch mit weiteren lustigen Sprachbeispielen, bis endlich, endlich ein Ortsschild vor uns auftaucht: Kołobrzeg. Das kann sogar ich übersetzen: Kolberg. Uff, geschafft. Der Rest ist jetzt ja wohl nur noch ein Klacks. Ab mit der Asche in die Ostsee und dann sofort retour!
7 . Kapitel
E twas planlos kurven wir durch den Ort. »Rechts, nein, links«, ruft Jan.
»Was denn nun?«, frage ich verwirrt. »Ich denke, du kennst dich hier aus? Deine Tante wohnt doch in Kolberg!«
»Ja, schon, aber die hab ich seit Ewigkeiten nicht mehr besucht. Und dann dieses vertrackte Einbahnstraßensystem. Mist«, flucht Jan.
Kreuz und quer schrauben wir uns durch das beschauliche Städtchen. Wir sind auf der Suche nach dem Hafen, denn Oma hatte die glorreiche Idee, ein Ruderboot zu entern, damit wir Opa Heinzis Asche in die Ostsee streuen können.
Ich halte diese Idee für ausgemachten Schwachsinn. Denn erstens: Wo sollen wir dieses Ruderboot überhaupt herkriegen? Jan, der Omas Plan offensichtlich ganz toll findet, erklärt aufgeräumt: »Dann klauen wir halt eins. Das macht den Kohl jetzt auch nicht mehr fett …« Und fügt lächelnd hinzu: »Ich liebe deutsche Sprichwörter!«
Ich kapituliere vor der geballten kriminellen Energie hier im Wagen und schenke mir mein Zweitens: Schon beim bloßen Anblick eines Bootes wird mir schlecht, ich werde nämlich sehr leicht seekrank. Aber was soll’s, auf mich hört ja sowieso keiner.
Irgendwie schafft Jan es, mich zum Hafen zu dirigieren. Und der ist ganz schön schön. Oben auf der Promenade sind jede Menge kleine Cafés, unten am Kai reihen sich lauter Lädchen aneinander, in denen man Souvenirs kaufen kann. Und über allem thront ein imposanter Turm.
»Reste der alten Wehranlage«, erklärt Jan. »Der größte Teil wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört.« Sein Orientierungssinn lässt zwar zu wünschen übrig, aber geschichtlich ist er auf Zack.
Richtig viel los ist aber nicht, ich kann unter den Herumbummelnden nur wenige Touris ausmachen. Stimmt! Es ist ja Karfreitag. Aber warum haben dann die Geschäfte geöffnet? Als ich Jan danach frage, erklärt er mir: »Das ist in Polen kein gesetzlicher Feiertag. Aber sollst mal sehen: Ab morgen geht’s hier rund! Ostern ist nämlich ein superwichtiges Fest für uns.«
»Nee, nee«, antworte ich, »ich seh gar nix. Morgen bin ich schließlich schon längst wieder zu Hause!«
»Schade!« Jan grinst etwas schief.
Zu Hause
ist mein Stichwort. Ich treibe Jan und Oma zur Eile an, denn ich will unbedingt so schnell wie möglich nach Deutschland zurück. Jan zieht mich etwas zur Seite und wird auf einmal ganz ernst: »Tine, ich versteh dich ja. Aber denk jetzt mal an Gerda. Das ist wirklich wichtig für sie. Darauf hat sie jahrelang gewartet. Also verdirb ihr diesen Moment nicht, bitte!«
Na gut, na gut. Von mir aus könnten wir Opa Heinzi schnell von der Mole ins Wasser kippen und noch kurz winken, aber ich sehe ein, dass das nicht geht. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie Frau Strelow sich an die Urne klammert, hektische rote Flecken im Gesicht. Nein, das geht wirklich nicht.
Während ich mich wegen meiner Pietätlosigkeit etwas schäme, läuft Jan zum Kai und inspiziert die Schiffe, die dort vertäut liegen. Es sind lauter bunt bemalte Nachbauten historischer Kähne. Ich erkenne eine Galeere, einen Piratensegler und sogar ein riesiges Wikingerschiff. Genau auf das steuert Jan jetzt zu. Er klettert an Bord und verschwindet aus
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