Flitterwochen
»Das hat sich aber verändert. Und nicht zum Besten, nicht zum Besten …«
Jan ist sofort beleidigt, offenbar haben wir ihn in seiner Nationalehre gekränkt.
»Ich weiß gar nicht, was ihr habt«, sagt er ungewöhnlich polterig für seine Verhältnisse. »In Deutschland gibt’s Gegenden, da sieht’s schlimmer aus. Und die ganzen Kioske stehen hier doch nur, weil die Zigaretten bei euch so teuer sind!«
»War doch nicht so gemeint«, sage ich versöhnlich, und Jan grummelt etwas Unverständliches.
Wir lassen den Ort hinter uns und fahren durch ein Waldstück. Hinter einer langgestreckten Kurve, die der Trabbi fast nimmt wie ein Ferrari, muss ich voll in die Eisen gehen – die Straße endet abrupt am Wasser.
»Was ist das denn?«, entfährt es mir.
»Die Swine«, entgegnet Jan trocken. »Da müssen wir rüber.«
»Aha. Und wie? Schwimmen?«
»Nee, mit der Fähre.«
Tatsächlich, schräg rechts von uns liegt ein kleines Fährschiff am Kai, vor dem schon etwa zehn Autos warten. Wir reihen uns in die Schlange ein und vertreten uns etwas die Beine. Auch hier steht ein Kiosk, der zwar keine Zigaretten, dafür aber Getränke und verschiedene Snacks anbietet.
»Möchtet ihr ein paar Würstchen?«, fragt Jan generös.
»Nee danke, hab keinen Hunger«, antworte ich.
Auch Oma Strelow winkt ab, sie ist etwas blass um die Nase, wahrscheinlich hat ihr meine Vollbremsung zugesetzt.
»Die sind aber lecker, die Würstchen«, beharrt Jan, »wir Polen sind berühmt für unsere gute Wurst!«
»Später esse ich bestimmt eine Wurst. Und Frau Strelow sicher auch. Aber jetzt müssen wir los, guck mal«, sage ich und deute auf die Autos, die begonnen haben, auf die Fähre zu fahren.
Wir tuckern auf das Schiff, und ein Mann in orangefarbener Sicherheitsweste dirigiert uns mit wichtiger Miene und ausladenden Gesten an unseren Platz. Dabei führt er sich auf, als hätte er auf einem amerikanischen Flugzeugträger gelernt, obwohl auf diese Fähre maximal vierzig Wagen passen. Dann müssen wir warten. Einen regulären Fahrplan scheint es nicht zu geben, denn das Schiff setzt sich erst in Bewegung, als das Deck voll ist.
Gemächlich schiebt sich der Kahn über die ruhige Swine. Am gegenüberliegenden Ufer stehen riesige Bäume.
»Ganz schön viel Natur hier«, bemerke ich und halte meine Nase in den Wind.
»Jaha, Polen ist ein wunderschönes Land!«, sagt Jan.
Da ist einer aber wirklich stolz auf seine Heimat.
»Pommern«, verbessert ihn Oma Strelow. »Wir sind in Pommern!«
Dazu sagt Jan offenbar lieber nichts.
Als wir nach einer Viertelstunde anlegen und wieder von der Fähre rollen, frage ich: »Und wo geht’s jetzt lang?«
»Am besten fahren wir direkt an der Küste hoch nach Kolberg«, antwortet Jan. »Wir sollten die großen Straßen meiden, immerhin sind wir auf der Flucht.« Als er meinen griesgrämigen Gesichtsausdruck bemerkt, fügt er hinzu: »Kleiner Scherz. In Polen suchen die uns bestimmt nicht. Das ist einfach landschaftlich die schönere Strecke. Also ras nicht wieder so!«
Ich und rasen? Mit einem Trabbi? Der hat sie doch nicht alle! Landschaftlich schön ist es aber wirklich. Wir durchqueren ein großes Schilfgebiet, dann folgt Wald, Wald und noch mal Wald. Und dann landen wir in einem kleinen Seebad, irgendwas mit »M«, völlig unaussprechlich.
»Mie˛dzyzdroje«, ruft Jan fröhlich. »Zeit für eine Kaffeepause!«
Dafür haben wir streng genommen keine Zeit, und eigentlich wollte ich ohne Zwischenstopp durchfahren, aber ein Kaffee, vielleicht noch mit einem Stückchen Kuchen, wäre jetzt wirklich nicht schlecht. Von mir aus auch gerne eine von den berühmten polnischen Würsten. Schließlich gab es schon kein Frühstück – jetzt auch noch das Mittagessen wegzulassen ist wahrscheinlich keine gute Idee. Immerhin haben wir eine Seniorin im Schlepptau, die braucht bestimmt regelmäßig etwas auf die Gabel. Also, ran an die Buletten!
Jan gibt den Weg vor, ich fahre durch enge, verwinkelte Straßen und staune. Überall stehen alte Jugendstilvillen, aufwendig restauriert und tipptopp gepflegt.
»Das ist ja zauberhaft hier!«, entfährt es mir.
»Tja, ich hab doch gesagt, Polen ist wunderschön!«
Vom Rücksitz kommt ein lautes Schnauben. »Das war hier schon wunderschön, als es noch Misdroy hieß! Im Sommer waren wir oft hier, Heinzi und ich. Wenn wir nicht in Kolberg am Strand waren, sind wir hierhin gefahren. Seine Schwägerin hatte ein kleines Café gleich an der Promenade. Dort haben wir
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