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Flitterwochen

Flitterwochen

Titel: Flitterwochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hertz
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sie, »Fritz, wir müssen den Schmuck vergraben. Der Russe kommt!«
    Hä? Wer ist denn Fritz? Und welcher Russe überhaupt? Wovon redet die denn?
    Jan senkt beschwörend seine Stimme: »Du hast recht, Gerda. Es wird höchste Zeit. Ich hole die Kiste aus dem Keller, und dann schleichen wir uns in den Belgarder Park und verbuddeln die Sachen am Bach. Da findet sie keiner!«
    Ich will mich gerade in das absurde Gespräch einmischen und fragen, ob die beiden für irgendein Theaterstück üben müssen, da fixiert Jan mich eindringlich, schüttelt den Kopf und legt den Finger auf die Lippen. Also halte ich meine Klappe und lausche verwirrt ihrem Dialog.
    »Ach Fritz, ich hab so Angst. Ich will hier nicht weg! Und was wird nur aus unseren Tieren?«
    »Schsch«, macht Jan, »du musst keine Angst haben. Ich pass schon auf dich auf, Gerda. Ich bin doch dein Bruder, ich beschütze dich.«
    »Aber die Tiere …«
    »Oleg wird sich gut um die Tiere kümmern. Wir können ihm vertrauen.«
    »Und wenn sie ihn in ein Lager stecken?«
    »Die Polen lassen sie in Ruhe, das weißt du doch. Und wenn der Krieg endlich vorbei ist, dann fahren wir alle zusammen nach Misdroy, in die Sommerfrische. Weißt du noch, wie viel Spaß wir da immer hatten?«
    Gerdas Gesicht hellt sich auf. »Ja, an den Strand. Wenn der Wind nicht so stark ist, können wir Federball spielen.«
    »Genau, Gerda, so machen wir es.«
    Oma Strelows Augen werden wieder klar, sie sackt ein bisschen in sich zusammen und blickt um sich. Sie wirkt sehr erschöpft. »Was tun wir hier?«, fragt sie verwirrt. »Wir müssen doch nach Kolberg. Heinzis Asche …«
    Jan streichelt beruhigend ihre Hand. »Nur eine kurze Kaffeepause. Wir zahlen jetzt und fahren weiter.«
    Als wir zurück zum Auto gehen, flüstere ich Jan ins Ohr: »Was war das denn eben?«
    »Erklär ich dir später«, raunt er zurück.
    Oma Strelow quetscht sich wieder auf ihre Rückbank und kuschelt sich an mein Brautkleid. Als unser Trabbi Misdroy-Mie˛dzyzdroje verlässt, sind uns die verwunderten Blicke der wenigen Passanten wieder sicher.
    Und wieder wartet jede Menge Wald auf uns. Jan beginnt zu dozieren: »Polens Flora und Fauna ist einzigartig. Hier leben sogar noch Wölfe! Und östlich von Warschau liegt der Białowiez˙a-Nationalpark, der letzte Tiefland-Urwald Europas.«
    »Ein Urwald? In Europa?«
    »Tja, da staunst du, was?«
    Das tue ich tatsächlich. Angestrengt starre ich während der Fahrt nach rechts und links ins Dickicht, in der Hoffnung, Meister Isegrim zu entdecken.
    »Ich muss mal«, kommt es auf einmal von hinten.
    »Ach, Gerda«, seufzt Jan. »Warum bist du denn nicht eben im Café gegangen?«
    »Da musste ich noch nicht.«
    »Tine, rechts ran! Das muss jetzt schnell gehen, ich kenn das schon …«
    Ich verdrehe die Augen. Das ist ja, als ob man ein Kleinkind dabeihätte! So kommen wir nie nach Kolberg. Aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu halten. An einem Waldweg steigen wir aus.
    »Wer kommt mit?« Oma Strelow guckt uns auffordernd an. »Ich komm doch alleine nicht wieder aus der Hocke hoch.«
    Jan hüstelt. »Tine, könntest du …«
    Och nö, das nicht auch noch! Genervt stapfe ich hinter Oma ins Gebüsch.
    »Und passt auf die Wölfe auf!«, ruft Jan uns noch hinterher.
    Ha, ha, sehr witzig. Oma läuft und läuft. Wo will die bloß hin?
    »Frau Strelow, stopp!«
    »Kindchen, ich möchte nicht von der Straße aus gesehen werden. Da bin ich empfindlich.«
    »Hier sieht Sie kein Mensch!«
    »Sicher?«
    »Sicher!«
    Ächzend geht sie in die Knie und versucht, das Gleichgewicht zu halten. Bevor sie umkippt, halte ich sie schnell fest. Im Unterholz raschelt und knackt es.
    »Wölfe!«, wispert Oma und pinkelt sich vor Schreck ein wenig auf die Schuhe.
    »Ach Quatsch«, beruhige ich sie, »hier gibt’s keine Wölfe. Das hat Jan doch nur so erzählt. Das ist bestimmt ein Hase …«
    »Natürlich gibt’s in Pommern Wölfe, Kindchen!« Oma Strelow ist entrüstet. »Als Kind durfte ich unseren Gutshof nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr verlassen. Wegen der Wölfe. Zu gefährlich!«
    Wieder knackt es. Ziemlich laut sogar. Das muss ein verdammt großer Hase sein. Jetzt wird mir auch ein bisschen mulmig. »Okay«, sage ich, »vielleicht sollten wir uns beeilen.«
    Im Schweinsgalopp preschen wir zurück zum Auto. »Wölfe«, keucht Oma und schmeißt sich in den Fond.
    »Sag ich doch«, grinst Jan.
    Diese letzte Aufregung war eindeutig zu viel für unsere Seniorin – kaum

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