Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flitterwochen

Flitterwochen

Titel: Flitterwochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hertz
Vom Netzwerk:
Moment die Augen. Keine gute Idee, überhaupt keine gute Idee, Augen schnell wieder auf. Ich suche einen Punkt am Horizont, auf den ich starren kann, versuche tief und langsam zu atmen und lausche dem Gespräch von Oma Strelow und der Ex-Schlesierin.
    »Wir wohnten auf dem Land, bei Belgard. Das ist nur einen Katzensprung von Kolberg entfernt. Am Wochenende ist Vater mit uns Kindern immer mit der Kutsche zum Markt gefahren …«
    »Mein Großvater hatte einen Hof zwischen Liegnitz und Breslau. Den kenne ich aber nur noch von alten Fotos und den Erzählungen meiner Mutter. Ich war ja noch ein Baby, als wir vertrieben wurden.«
    »Ja, ja, die Flucht, fürchterlich. Aber vorher waren es herrliche Zeiten, wir lebten wie im Paradies.«
    »Man darf gar nicht darüber nachdenken, dass das hier früher einmal alles uns gehörte!« Dabei macht die Rentnerin eine weit ausholende Armbewegung, die mindestens ganz Polen, Bornholm und Teile Südschwedens einschließt. Nur gut, dass Jan das nicht hört.
    Ich merke, dass das Boot langsamer wird. Der Käpt’n hat die Maschine gestoppt und redet auf Jan ein. Der eilt zu uns.
    »So, Gerda, der große Moment ist da. Jetzt kannst du deinen Heinzi endlich dem Meer übergeben – so wie er es sich immer gewünscht hat.« Jan schluckt, er hat sichtlich einen Kloß im Hals.
    Oma Gerda steht mit zittrigen Beinen auf und schließt die Urne ganz fest in ihre Arme. Dann geht sie langsam auf die Reling zu. Miroslav läutet feierlich eine Schiffsglocke, die Rentner-Gang stellt sich im Halbkreis um Oma herum. Jan nimmt meine Hand, hilft mir auf und zieht mich zu den anderen.
    Ganz still liegt das Schiff jetzt auf der ruhigen Ostsee und dümpelt vor sich hin.
    »Woll’n wa ma dit Vaterunser uffsajen?«, schlägt einer der Berliner vor.
    Alle falten die Hände und beten. Dann senkt sich eine andächtige Stille auf uns herab. Oma streichelt die Urne, öffnet vorsichtig den Deckel und sagt mit einem kleinen Schluchzer: »So, mein Schatz, jetzt bist du da, wo du hingehörst. Ich liebe dich, das weißt du ja. Und unser Herrgott wird dafür sorgen, dass wir bald wieder vereint sind.« Dann nimmt sie die Urne und schüttet ihren Inhalt vorsichtig ins Wasser.
    Ich sehe, dass mehrere Berliner und Kapitän Miroslav sich verstohlen ein paar Tränchen aus den Augen wischen. Jan dagegen heult so laut wie ein Schlosshund. Und ich merke, dass auch ich trotz meiner Übelkeit ganz schön ergriffen bin.
    »Los, Fritz, und jetzt singen wir das Pommernlied, die ersten drei Strophen«, befiehlt Oma.
    Aha, es ist wieder so weit, Jan ist wieder zu Fritz geworden.
    Jan räuspert sich etwas umständlich, und dann schmettern die beiden:
     
    Wenn in stiller Stunde Träume mich umwehn,
    bringen frohe Kunde Geister ungesehn.
    Reden von dem Lande meiner Heimat mir,
    hellem Meeresstrande, düsterm Waldrevier.
     
    Weiße Segel fliegen auf der blauen See.
    Weiße Möwen wiegen sich in blauer Höh.
    Blaue Wälder krönen weißer Dünen Sand,
    Pommernland, mein Sehnen ist dir zugewandt.
     
    Aus der Ferne wendet sich zu dir mein Sinn,
    aus der Ferne sendet trauten Gruß er hin.
    Traget, laue Winde, meinen Gruß und Sang,
    wehet leis und linde treuer Liebe Klang.
     
    Jan hat einen sehr schönen Tenor, und auch wenn er eben noch wie nichts Gutes geflennt hat, ist seine Stimme fest und klar.
    In dem Moment, als der letzte Ton verklingt und ich noch ganz melancholisch bin, treffen mehrere größere Wellen unser Schiff und schaukeln uns richtig durch. Das ist echt zu viel für mich. Mit einem Sprung hechte ich zur Reling, beuge in letzter Sekunde meinen Kopf darüber und kotze einen langen Strahl Waffeln mit Schlagsahne in die Ostsee. Zum Glück bin ich immerhin so geistesgegenwärtig, Heinzis Überreste knapp zu verfehlen.
    »O Gott, o Gott«, stammle ich und rutsche an der Bordwand Richtung Boden, »tut mir leid.«
    »Tine, du Ärmste!« Fürsorglich beugt sich Jan über mich, zieht ein nicht mehr ganz blütenreines Taschentuch aus der Hose und wischt mir das Gesicht ab.
    »Wenn Sie vorhin den Schnaps getrunken hätten, wäre das nicht passiert«, sagt die schlesische Berlinerin vorwurfsvoll.
    »Macht doch nichts, Kindchen«, meint Oma Gerda milde. »Was rausmuss, muss raus.« Ihr kleiner Aussetzer scheint schon wieder vorbei zu sein.
    Unser Kapitän hat in der Zwischenzeit den Motor wieder angeworfen und stolpert nun, den einen Arm voller Wodkaflaschen, an dem anderen baumelt ein Picknickkorb, aus seiner Kajüte. Dann baut er

Weitere Kostenlose Bücher