Flitterwochen
sehe aus wie eine Braut. Selbst mit nassen, wirren Haaren und ohne Make-up verwandelt mich das Kleid sofort. Meine Tränen fließen jetzt reichlich. Es ist sinnlos, sie zurückzuhalten, dafür sind es einfach zu viele – wahrscheinlich die Tränen der gesamten letzten Tage. Ich schluchze, heule und weine, kann einfach nicht damit aufhören.
Ich muss an Alex denken und daran, dass ich ziemlich genau jetzt eigentlich seine Frau werden sollte. Schließlich war das doch eine Schicksalsfügung. Er und ich. Zwei wie Pech und Schwefel. Von mir aus auch wie Feuer und Wasser. Wir gehören doch zusammen. Oder etwa nicht? Bei dem Gedanken daran, wie mies er sich bei unserem letzten Telefonat verhalten hat, schüttelt es mich regelrecht, und ich muss laut schluchzen. Das ist mir jetzt aber scheißegal, hier hört mich sowieso niemand. Und selbst wenn. Sollen die Leute doch denken, was sie wollen! Ich habe den Klang von Alex’ Stimme noch genau im Ohr: so wütend und kalt, als ob er mich eigentlich gar nicht lieben würde.
In mein Schluchzen mischt sich auf einmal ein lautes Klopfen. Hämmert da jemand an die Autoscheibe? Etwa wieder diese Verrückten mit der Wasserpistole? Ich hebe den Kopf vom Lenkrad, drehe ihn zur Seite – und blicke direkt in Karolinas Gesicht, die mich völlig entgeistert mustert. Auweia. Vielleicht sollen die Leute doch nicht denken, was sie wollen? Jedenfalls nicht alle Leute. Ich greife mir schnell noch ein Blatt Küchenpapier und wische mir über das Gesicht, dann kurbele ich das Fenster ein Stück herunter.
»Oh, hallo, Karolina!«, begrüße ich sie betont beiläufig. Leider klingt meine Stimme völlig verheult – kein Wunder, meine Nase ist bestimmt auf die Größe einer Riesenkartoffel angeschwollen.
Karolina starrt mich an. »Hallo, Tina. Was ist denn mit dir los?«
»Ich … äh … ich habe mich ausgesperrt, und mir war kalt. Da habe ich mich ins Auto gesetzt und auf euch gewartet.«
Jetzt kommt auch der Rest der Familie näher, inklusive Tante Małgorzata und Onkel Leszek. Sie drängeln sich vor dem Auto, als gäbe es hier etwas Besonderes zu sehen. Gut, aus ihrer Sicht ist das wahrscheinlich auch so. Endlich kommt auch Jan dazu. Er blickt seiner Schwester über die Schulter, lächelt mir erst zu – und reißt dann die Augen auf. Aber ehe er etwas sagen kann, fragt Karolina schon: »Sag mal, Tine, ist das etwa ein Brautkleid, das du da an hast?«
Neeein,
das ist nur … so was ziehe ich einfach ab und zu an, wenn mir danach ist, weißt du?! Okay, wie komme ich jetzt aus der Nummer wieder raus?
»Na ja, also … gewissermaßen.«
Jetzt reißt auch Karolina die Augen auf. Małgorzata und Leszek stecken ihre Köpfe zusammen und sagen irgendetwas, das ich nicht verstehe.
»Gewissermaßen«, wiederholt Karolina das letzte Wort meines Gestammels. »Du hast
gewissermaßen
ein Brautkleid an. Warum?«
»Weil … also, ich, also …«
Jan kommt mir zu Hilfe. »Ein schönes Kleid, oder? Tine hat es mit, weil sie heiraten wollte.«
»Hier in Polen? Wen denn?« Karolina klingt sehr misstrauisch.
»Nein, nicht in Polen. In Deutschland. Sie hat es nur aus Versehen dabei. Also, weil wir so spontan aufgebrochen sind.«
»Das verstehe ich jetzt nicht. Tine wollte in Deutschland heiraten, und deswegen nimmt sie ihr Brautkleid mit nach Polen? Das ergibt keinen Sinn. Und wieso ist sie jetzt so traurig? Hattet ihr Streit? Ist sie deswegen nicht mit in die Kirche gekommen? Los, sag schon! Oder erklär du es mir, Tine!«
Małgorzata und Leszek, die nicht verstanden haben, was Karolina gesagt hat, scheinen sich ebenfalls Gedanken zu machen. Ihr Gemurmel ist zwar polnisch, aber ich könnte schwören, dass sie sich gerade haargenau das Gleiche fragen. Ich nehme einen neuen Anlauf.
»Nein, ich will nicht heiraten. Ich habe das Kleid nur angezogen, weil ein paar Verrückte mich eben von oben bis unten mit Wasser vollgespritzt haben und mir kalt geworden ist.«
Jan nickt verständnisvoll. »Ich habe dir doch heute Morgen gesagt, dass du aufpassen musst. Heute ist Smygus Dyngus, das Wassergießen – ein uralter polnischer Brauch. Da werden alle hübschen jungen Frauen mit Wasser bespritzt, wenn sie nicht aufpassen. Je hübscher, desto nasser. Kein Wunder, dass es dich so getroffen hat.« Er grinst.
Falls das ein Kompliment sein soll, kann ich gerade nichts damit anfangen, denn ich fühle mich unter Karolinas Blicken momentan ungefähr so wohl wie ein Hühnchen im Bräter.
»Aha. Also ist
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