Flitterwochen
Familienverhältnisses geht in dem durchdringenden Rauschen in meinem Kopf unter. Mir wird schlecht, ich muss mich wieder hinlegen. Jan streichelt sanft über meine Wange.
»Vielleicht schläfst du wirklich noch ein bisschen. Ich lege dir den Wohnungsschlüssel auf den Küchentisch – falls du mal rauswillst. Ist ganz schönes Wetter, nur sehr kalt. Aber Vorsicht, heute ist Smygus Dyngus, und da …«
Beim warmen Klang seiner Stimme schlummere ich wieder ein. Herrlich, kein Rauschen mehr!
Als ich zwei Stunden später aus der Dusche komme, geht es mir deutlich besser. Ein leichter Druck hinter den Augen ist zwar geblieben, aber das Rauschen ist weg, und ich fühle mich endlich wieder wie ein Mensch, nicht wie ein Wischlappen. Die Wohnung ist ganz ruhig – herrlich! Wahrscheinlich dauert auch diese Messe wieder unglaublich lange, oder aber Jan und Familie besuchen zum Mittagessen eine weitere entfernte Großnichte. Dann wäre meinen noch jungen Erfahrungen mit polnischen Familientraditionen zufolge nicht vor dem frühen Abend mit ihnen zu rechnen. Für polnische Verhältnisse führe ich das reinste Einsiedlerleben – aber an einem Tag wie heute finde ich das ganz gut so.
Ich beschließe, mir einen Kaffee zu kochen und dann doch auf eigene Faust wieder ins Kurviertel zu fahren. Die Liste mit den Adressen habe ich ja, den Stadtplan auch. So schwer kann es nicht sein, diese Wohnheime zu finden. Und wenn dort niemand Deutsch spricht, versuche ich’s halt auf Englisch. Irgendwie werde ich mich schon verständlich machen. Jedenfalls kann ich hier nicht länger tatenlos rumsitzen.
Die Haare trockengeföhnt, nach Tasche und Autoschlüssel gegriffen – los geht’s. In dem Moment, in dem ich die Tür hinter mir ins Schloss ziehe, fällt es mir ein: Ich habe den Wohnungsschlüssel auf dem Küchentisch liegen lassen. So was Doofes – jetzt komme ich erst wieder rein, wenn die ganze Sippe hier aufkreuzt. So ganz klar im Kopf bin ich offensichtlich noch nicht. Aber was soll’s, ändern kann ich daran jetzt sowieso nichts, zur Not gehe ich in ein Café. Ein paar Złoty habe ich ja in der Handtasche.
Vor dem Hauseingang muss ich kurz überlegen, wo ich eigentlich den Wagen stehen lassen habe. Richtig, die Straße fünfzig Meter links runter, vor dem Supermarkt mit den quietschgelben Reklametafeln. Ich stapfe los. Mir kommen drei junge Männer entgegen, die miteinander tuscheln und mich anstarren. Ja, ich weiß, ich habe zwei Köpfe. Und? Was dagegen? Ich starre grimmig zurück, die drei fangen an zu lachen. Dann zieht der mittlere etwas hinter seinem Rücken hervor, das aussieht wie eine riesige Pumpgun – allerdings in schreiend Pink und Grün. Was, zum Teufel, ist hier los?
Bevor ich mir diese Frage beantworten kann, bin ich schon von oben bis unten klitschnass. Dieser Vollpfosten hat mich mit einer kompletten Ladung aus seiner Wasserpistole bedacht. Das Ding muss einen Fünf-Liter-Tank haben, jedenfalls könnte ich jetzt aus dem Stand an einem Miss-Wet-T-Shirt-Wettbewerb teilnehmen. Verdammt – sind die irre geworden? Die drei gucken sich an und prusten los, ich ringe mit meinem Sprachvermögen. Als ich es wiedergefunden habe, pöbele ich los: »Sagt mal, seid ihr komplett irre? Was fällt euch ein? Das ist eine Riesenschweinerei, ich glaube, ihr spinnt!«
Die drei rennen weg.
»Hey, bleibt gefälligst stehen! Ihr tickt wohl nicht richtig. Stehen bleiben, habe ich gesagt! Das ist Körperverletzung! Mindestens!«
Natürlich bleiben die Jungs nicht stehen, sondern rennen weiter. Unwillkürlich muss ich an Bäcker Remper denken. Soweit ich weiß, hat ihn eine der Wasserbomben frontal am Kopf getroffen. Mit dem entsprechenden Resultat. Ich muss sagen: Ich kann seinen Zorn jetzt ansatzweise nachvollziehen. Das ist kein schönes Gefühl, vor allem, wenn es saukalt ist. Sonnig, aber garantiert nicht mehr als fünf Grad.
Fluchend drehe ich mich um und stapfe zum Haus zurück. Ein Griff in meine Handtasche, dann fällt es mir wieder ein: der Haustürschlüssel. Das kann doch echt nicht sein! Was habe ich eigentlich verbrochen, dass mir das Schicksal hier dermaßen eins reinwürgt? Also wieder zurück zum Auto.
Ich bin noch nicht weit gekommen, als sich von irgendwo oben ein weiterer Schwall Wasser direkt über mich ergießt. Ich schreie laut auf.
»Was soll denn das, verdammte Scheiße, jetzt reicht’s mir aber!«
Ich höre ein Lachen und blicke nach oben. Aus dem Fenster im ersten Stock guckt ein
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