Flitterwochen
als ob mir jemand einen 220 -Volt-Stromschlag verpasst hätte.«
»Und? Wart ihr danach ein Paar?«
»Nee«, brummt Jan in der Dunkelheit. »Danach hat sie mir, ehrlich gesagt, nie wieder Nachhilfe gegeben. Hat meinen Eltern gesagt, sie hätte keine Zeit mehr.«
Jetzt seufzen wir beide.
»Und du und Alexander?«, will Jan wissen. »Wie hat das begonnen?«
»Ich habe ihn auf einer superlangweiligen Lehrer-Party kennengelernt. Besser gesagt: einer langweiligen Lehrerinnen-Party. Es waren kaum Männer da. Alexander ist mir da natürlich sofort aufgefallen. Er war auch so anders als die anderen. Erst haben wir uns total gezofft, aber irgendwann später hat es richtig gefunkt. Wir haben die Party schon als Pärchen verlassen.«
»Also fast Liebe auf den ersten Blick«, sagt Jan, immer noch brummend.
»Fast. Wir sind eigentlich total unterschiedlich. Die meisten meiner Freundinnen mögen Alex nicht. Für sie ist er einfach der kühle Banker. Aber er kann auch total lieb sein.« Ich denke kurz über ein passendes Beispiel nach, aber leider fällt mir so schnell keines ein.
»Und wieso wolltet ihr auf den Seychellen heiraten?«
»Das war Alex’ Idee. Er fand das romantisch, so zu zweit. Er ist auch kein großer Familienmensch. Ich glaube, der ganze Rummel geht ihm auf den Keks.«
»Hm«, murmelt Jan nachdenklich. »Du bist aber schon ein Familienmensch, oder?«
»Wieso?«
»Na ja, immerhin erträgst du meine ganze Sippe hier wirklich mit Fassung. Und zu Oma bist du echt nett, obwohl sie dich so reingeritten hat. Also, da wundert es mich eigentlich ein bisschen, dass du ganz ohne Familie und Freunde heiraten willst.«
Wo er recht hat, hat er recht. Ob ich ihm von der Wahrsagerin erzählen soll? Oder hält er mich dann für völlig durchgeknallt? Andererseits: Wer sein Osterfrühstück mit Weihwasser besprenkeln lässt, hat vielleicht auch ein wenig Verständnis dafür, dass es zwischen Himmel und Erde Dinge gibt, die mit dem Verstand schwer zu erklären sind. Ich räuspere mich.
»Also, das war so: Als mich Alexander gefragt hat, ob ich mir vorstellen kann, ihn Ostern am Strand von La Digue zu heiraten, da habe ich spontan Herzrasen bekommen. Nicht nur wegen der Hochzeit an sich. Sondern auch, weil sich damit eine Weissagung erfüllt hat.« Schweigen. »Äh, hörst du mir noch zu?«
»Hmh. Klar. Sprich weiter.
Weissagung.
Klingt spannend.«
»Ähm, mir hat nämlich mal jemand geweissagt, dass ich in der Osterzeit den Mann meines Lebens heiraten würde. Im Ausland.«
Jan schnauft. Oder unterdrückt er etwa ein Lachen? Ich hätte ihm die Geschichte doch nicht erzählen sollen!
»Jetzt hältst du mich für verrückt, oder?«
»Nein, überhaupt nicht. Erzähl weiter.«
»Da gibt’s nicht mehr viel zu erzählen. Es war eine alte Zigeunerin. Wir hatten sie für unseren Abi-Ball engagiert. Sie sollte uns allen die Zukunft vorhersagen. Aber bei mir hat es ja offensichtlich nicht geklappt, denn
mir
ist ja Oma in die Quere gekommen.«
Jetzt lacht Jan. »Wieso? Es ist eindeutig Osterzeit. Du wirst heiraten. Und wir sind im Ausland. Ich würde sagen: Ich bin der Mann deines Lebens.«
Blödmann! Aber bevor ich noch etwas sagen kann, greift Jan nach meiner Hand und drückt sie.
»Gute Nacht, Tine. Ich bin mir sicher, deine Träume werden sich noch erfüllen.«
Der nächste Morgen beginnt damit, dass ich von einem langgezogenen Ton wach werde. Irgendjemand heult. Dem Klang nach eine Frau. Ich will Jan fragen, was denn da um Himmels willen schon wieder los ist, und stelle fest, dass er sein Nachtlager schon verlassen hat. Also beschließe ich, diesem Geräusch auf den Grund zu gehen, und tappe in meinem mintfarbenen Riesennachthemd durch den Flur.
Der Heulton kommt aus der Küche, untermalt von Jans ruhigem Brummton und Karolinas eher hysterischem Geschnatter. Mit einem fröhlichen »Guten Morgen!« stoße ich die Tür auf. Wer weiß, vielleicht lässt eine Überdosis an guter Laune die Heulboje verstummen. Drei Augenpaare starren mich an. Das mittlere davon ist voller Tränen, die dazugehörige Frau hängt schluchzend in Karolinas Armen. Nach einer kurzen Schrecksekunde löst sie sich von Jans Schwester und stürzt sich mit einem Aufschrei auf mich. Sie fällt mir um den Hals, herzt und küsst mich, stammelt Unverständliches auf Polnisch und etwas auf Deutsch, das klingt wie »Meine Tochter, meine Tochter«.
O mein Gott, wer ist jetzt diese Wahnsinnige? Hilfesuchend blicke ich zu Jan und versuche, mich aus
Weitere Kostenlose Bücher