Flitterwochen
übermorgen viel besser die Haare hochstecken – dann werden die Stufen gelockt, das sieht bestimmt toll aus. Das vorher war ja nichts Halbes und nichts Ganzes!«
Pffft, dieses
nichts Halbes und nichts Ganzes
kostet mich in Lübeck alle fünf Wochen neunzig Euro! Und um diesen haarigen Fauxpas wieder auszubügeln, muss ich bestimmt richtig tief in die Tasche greifen. Was soll’s, hier kennt mich ja weiter keiner, und zu Hause werde ich dann für den Übergang irgendwas auf den Kopf setzen. Gibt ja schließlich schicke Mützen und Hüte.
Als wir von unserem kleinen Ausflug zurückkommen, starrt Jan mich völlig entgeistert an. »Oh«, sagt er nur, mehr nicht.
»Ich hoffe, dein Hochzeits-Outfit ist genauso schick wie meine neue Frisur«, entgegne ich.
Er lacht. »So in etwa. Du darfst gespannt sein.«
Nach verrichtetem Tagwerk folgt am Abend die übliche Völlerei, garniert mit reichlich Kartoffelschnaps. Diese Polen können echt was ab! Ich versuche, mich einigermaßen zurückzuhalten, was mir aber nicht wirklich gelingt. Unter Karolinas strafenden Blicken häufe ich mir den Teller schließlich doch zwei Mal voll. Was kann denn ich dafür, wenn Tante Małgorzata so gut kocht!
Die Verwandtschaft ist immer noch relativ komplett versammelt, dabei wollten eigentlich alle schon am Ostermontag abreisen. Aber nun steht ja ein großes Familien-Event an, da sind sie dann natürlich noch geblieben. Wir hocken zusammengepfercht im Wohnzimmer, lachen, trinken und spielen Karten. Oma Strelow scheint sich so wohl zu fühlen wie schon lange nicht mehr. Sie scherzt, sie kichert, und sie zockt Onkelchen Bogumił bei etwas, das die polnische Variante von Canasta zu sein scheint, richtig ab. Der stößt Flüche aus, deren Inhalt ich zwar nicht verstehe, die aber ziemlich ordinär klingen und so gar nicht gottgefällig.
Gegen ein Uhr nachts scheucht Leszek alle raus, und wir fallen todmüde in die Betten. Besser gesagt: Ich sinke jetzt auf die Schlafcouch und Jan auf eine Matratze auf dem Boden neben mir. Tante Małgorzata hat nämlich
mein
Gästezimmer Oma Gerda zugeteilt. Wahrscheinlich wollte sie der alten Dame nicht zumuten, auf irgendeiner Unterlage zu kampieren. Außerdem, so hat Jan es mir erklärt, findet sie es mittlerweile nicht mehr unschicklich, dass mein zukünftiger Gatte und ich in einem Raum nächtigen. Da wird der liebe Gott schon ein Einsehen haben, irgendwie.
So auf Tuchfühlung mit Jan zu nächtigen ist mir zwar einerseits etwas peinlich, andererseits fühlt es sich aber gar nicht so schlecht an. Vor dem Einschlafen flüstern wir noch miteinander. Ich male ihm in schillernden Farben aus, wie die Besuche bei Schneiderin und Friseur verlaufen sind, er erzählt mir von der Anprobe beim Herrenausstatter. Dann schmieden wir Pläne, was wir alles tun werden, wenn wir unser normales Leben wiederhaben. Und schließlich widmen wir uns der Vergangenheit.
»Wann warst du das erste Mal verliebt?«, will Jan von mir wissen. Ich muss kichern.
»Das geht dich überhaupt nichts an.«
»Na, hör mal, wir sind bald Mann und Frau. Da muss ich so etwas doch wissen«, widerspricht Jan sofort.
So gesehen hat er natürlich recht.
»Also, ich denke, das war in der fünften Klasse. In Joschi Buschschulte.« Ich seufze.
»Joschi Buschschulte? Was ist das denn für ein bekloppter Name!«
»Hey! Nichts gegen Joschi. Der ging schon in die sechste Klasse. Oder besser: Er wäre in die sechste gegangen, wenn er nicht vorher sitzengeblieben wäre. So kam er dann in meine Klasse. Und er war einfach toll! Gar kein Vergleich zu den anderen kleinen Jungs!« Meine Stimme bekommt einen ganz schwärmerischen Klang.
Jetzt ist es Jan, der kichert. »So, so,
toll
war er also. Was war denn so toll an ihm?«
»Na, er konnte super küssen. Extrem wichtig, finde ich.«
»Du hast in der fünften Klasse schon rumgeknutscht? Ist das nicht ein bisschen früh?«
»Nö, wieso? Wenn man den Richtigen trifft …«
Jan seufzt. »Ich habe das erste Mal mit vierzehn ein Mädchen richtig geküsst. Dorota. Sie war meine Nachhilfelehrerin und schon siebzehn. Und echt heiß! Ich konnte in der Nacht vor dem Unterricht nie schlafen, so verknallt war ich in sie. Tja, und eines Tages habe ich all meinen Mut zusammengenommen und ihr meine Liebe gestanden. Mann, hatte ich da Herzrasen!«
»Wow«, flüstere ich. »Und was hat sie gesagt?«
»Gar nichts. Sie hat einfach meinen Kopf zwischen ihre Hände genommen und mich geküsst. Es war der helle Wahnsinn,
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