Flitterwochen
aufhat.«
Richtig groß ist die Auswahl nicht, aber immerhin versorgt er uns mit zwei Adressen, die sogar in unmittelbarer Nähe des
Stella Maris
liegen. Zum Glück, denn ich habe keine Jacke an, und als wir vor die Tür treten, bläst uns ein frischer Ostseewind entgegen. Jan, ganz Gentleman, legt fürsorglich den Arm um meine Schulter und wir marschieren los.
Unsere erste Anlaufstelle, der Club
Scena,
liegt mitten auf der Promenade. Im Sommer steppt hier bestimmt der Bär, aber jetzt ist eher Totentanz angesagt. Uns schallen zwar ohrenbetäubende Techno-Beats entgegen, aber der Schuppen ist fast menschenleer, nur an der Bar sitzen zwei versprengte Gestalten. Wir schauen uns an und machen auf dem Absatz kehrt.
Die zweite Location heißt
Dechy.
»Das bedeutet Holzbrett«, sagt Jan. Holzbrett? Na, das klingt ja nach einer Supersause. Wir finden den Laden unten an der Seebrücke, und als wir den großen Gastraum betreten, erklärt sich sofort der komische Name. Das
Dechy
ist eher rustikal, überall stehen einfache Holztische und -bänke, es gibt Säulen mit Holzschnitzereien, und der Boden ist aus einfachen Brettern gezimmert. Wirklich sehr, sehr rustikal!
»Na, gefällt’s dir?«, fragt Jan, während ich mit der Faszination des Grauens zu einer Bühne schaue, auf der ein einsamer Keyboarder sitzt, mit Begeisterung in die Tasten haut und dazu schaurig-schön singt.
»Auf alle Fälle ist hier schon mal mehr los«, antworte ich diplomatisch. Wer weiß, vielleicht haben die Polen ein ganz anderes Verständnis von Nightlife, und ich möchte Jan auf keinen Fall in seiner Nationalehre kränken – da ist er ja eher empfindlich.
Er schiebt mich zu einem der Holztische, an dem noch etwas Platz ist. Bereitwillig rücken die anderen Gäste zusammen, so dass ich mich setzen kann. Dann steuert Jan zielstrebig auf die Holzbar zu und kehrt kurz darauf mit zwei Caipirinhas zurück. O Mann, schon wieder Alkohol!
Mit unseren Tischnachbarn kommen wir schnell ins Gespräch. Besser gesagt: Jan unterhält sich, und ich nicke freundlich dazu, weil ich ja kein Wort verstehe. Plötzlich springen alle auf, reißen ihre Gläser in die Höhe und brüllen etwas. Der Mann, der eben noch neben mir saß, rast zur Bühne und schreit dem Keyboarder etwas ins Ohr. Der unterbricht seinen aktuellen Song, brüllt auch etwas in sein Mikrophon und stimmt den Hochzeitswalzer an. Jetzt ist der ganze Saal auf den Beinen, alle klatschen und zeigen auf Jan und mich.
»Was hast du denen denn erzählt?«, zische ich ihm ins Ohr, während ich krampfhaft weiterlächle. So viel öffentliche Aufmerksamkeit ist irgendwie nichts für mich.
»Nur dass wir in den Flitterwochen sind, mehr nicht«, flüstert Jan unschuldig zurück. »Los, komm, alle wollen, dass wir jetzt tanzen.«
Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig. Jan zerrt mich Richtung Tanzfläche, und wir wiegen uns im Takt des Hochzeitswalzers, während sich die anderen Gäste an den Rand der Tanzfläche stellen und frenetisch applaudieren. Dann folgt übergangslos eine wilde Polka, und Jan wirbelt mich so herum, dass mir ganz schwindlig wird. Jetzt rächt es sich, dass mir Karolinas Schuhe nicht wirklich passen. Deshalb ziehe ich sie lieber aus und hüpfe in meinen Nylons herum.
Das nächste Stück ist zum Glück etwas ruhiger, ein bisschen klingt es wie die polnische Version von »Ti amo«. Ich schmiege mich an Jan, er hält mich ganz, ganz fest – etwas fester sogar, als es eigentlich nötig wäre. Der Keyboarder scheint ein Mann mit einem Sinn für Romantik zu sein, denn jetzt kommt ein Schmusesong nach dem anderen. Und Jan und ich lassen keinen Engtanz aus. Ich lege meinen Kopf an seine breite Brust und muss zugeben: Jan ist wirklich ein sehr, sehr guter Tänzer. Und dass er mich so fest hält, fühlt sich auch sehr, sehr gut an. Und irgendwie riecht er so gut. Ich vergrabe meine Nase noch etwas tiefer in seinem Hemd. Mmmhh!
Zwischendurch machen wir nur kurze Pausen, um schnell etwas zu trinken. Als ich einmal zur Toilette husche, blickt mir dort aus dem Spiegel eine fremde Frau entgegen. Okay, sie ähnelt noch stark der alten Tine Samstag. Aber sie strahlt, ihre Augen glänzen, und sie hat richtig rote Wangen. Irgendwie sieht sie so … glücklich aus!
Als wir uns zu vorgerückter Stunde von unseren neuen Freunden verabschieden, müssen wir gefühlte hundert Hände schütteln. Wir taumeln in die Nacht, und Jan nimmt mich erneut schützend in seine Arme. »Nicht dass du dich erkältest«,
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