Flitterwochen
einen nervösen Blick auf die Uhr, zückt seinen Stadtplan und drängt zum Aufbruch. »Los, jetzt müssen wir diesen Hügel suchen. Nicht dass wir zu spät kommen!« Zu spät für was? Haben wir etwa irgendeinen Termin?
Wir keuchen einen Weg etwas außerhalb des Städtchens hinauf, es geht über Stock und Stein und durch ein Wäldchen. Völlig außer Atem muss ich feststellen, dass fünfundneunzig Meter ganz schön hoch sein können. Aber als wir endlich am Aussichtspunkt angelangt sind, entfahren mir ganz ehrlich gemeinte Ahs und Ohs. Die Aussicht ist nämlich atemberaubend, der Aufstieg hat sich gelohnt. Unter uns liegen die bewaldete Steilküste und der schneeweiße Strand, vor uns die ruhige Ostsee, über der ein feuerroter Ball schwebt.
»Ha, rechtzeitig geschafft! Ich hatte schon Angst, wir verpassen den Sonnenuntergang«, sagt Jan befriedigt. Dann öffnet er mit einem »Tataaa!« seinen Rucksack und zaubert einen Piccolo nebst Plastikbechern hervor. Dieser Mann ist echt unbezahlbar! Wir setzen uns auf eine Bank, und Jan öffnet die kleine Flasche, die natürlich nach dem ganzen Gerüttel und Geschüttel überschäumt. Wir prosten uns kichernd zu und genießen dann schweigend das Naturschauspiel.
Jan rückt unauffällig wieder etwas näher. Zum Glück hält mein Magen diesmal die Klappe. Genauso unauffällig lehne ich meinen Kopf an seine Schulter. Leider wird der äußerst romantische Moment dadurch unterbrochen, dass ich aus Versehen aufstoßen muss. Ehrlich gesagt entgleitet mir ein amtlicher Rülpser – der fettige Räucherfisch fordert seinen Tribut. Für einen Augenblick starrt Jan mich fassungslos an, dann müssen wir beide hemmungslos lachen. Dass zwei Erwachsene so albern sein können!
Unsere kleine Flasche ist allzu schnell geleert, die Sonne versinkt im Meer, und wir beginnen den Abstieg. Über uns beginnt es zu grummeln, schlagartig wird es ziemlich dunkel, und ein Platzregen durchnässt uns bis auf die Knochen. Hand in Hand rennen wir wie die Gesengten durch den Regen und entern triefend unsere Hotel-Lobby – zwei begossene Pudel sind nichts gegen uns. Unsere freundliche Empfangsdame schiebt wieder Dienst und bemerkt mit einem leicht pikierten Blick: »Oh, Sie sind ja ganz nass!«
Wir nicken entschuldigend. Jan erklärt: »Wir sind vom Regen überrascht worden. Tut uns leid, wenn wir alles volltropfen.«
Die Dame ist sofort milde gestimmt, ihr Blick wechselt von
Igitt
zu verständnisvoll. »Was halten Sie davon, wenn Sie sich schnell umziehen und ich Ihnen hinten im kleinen Salon den Kachelofen anfeuere?«
Jan und ich sind begeistert. Hach, erst der Sonnenuntergang und jetzt ein behagliches Feuerchen. Mehr geht eigentlich nicht! Also schlüpfen wir schnell in etwas Trockenes und poltern dann Richtung Salon. Dort knistert und bollert der Ofen schon wie versprochen vor sich hin und verbreitet eine behagliche Wärme. Jetzt noch ein heißer Tee, und mein Glück wäre perfekt!
Als könnte sie Gedanken lesen, schiebt unsere Empfangsdame einen quietschenden Servierwagen in das kleine Zimmer, auf dem neben Teller und Tassen leckere Schnittchen, Gebäck und eine dampfende Teekanne stehen.
»Lassen Sie es sich gutgehen«, sagt sie augenzwinkernd und schließt hinter sich diskret die Tür.
Das lassen Jan und ich uns nicht zwei Mal sagen und machen uns über die kredenzten Köstlichkeiten her. Mmmh, wieder alles furchtbar lecker! Wenn ich wieder zu Hause bin, bekomme ich bestimmt Entzugserscheinungen. Gibt es in Lübeck eigentlich ein polnisches Restaurant?
Wir mampfen und mümmeln erst mal schweigend vor uns hin. Dann lehnen wir uns zufrieden seufzend in die dicken Polster unseres Sofas. So eingekuschelt und mit vollem Bauch, werde ich auf einmal ganz schläfrig. Mein Kopf sinkt zur Seite und an Jans Schulter. Ist ja auch kein Wunder! Den ganzen Tag dieses Gerenne an der frischen Ostseeluft, da darf man ja wohl etwas geschafft sein.
»Na, bist du etwa müde?«, flüstert Jan mir ins Ohr.
Ich nicke und gebe eine Art bestätigenden Grunzlaut von mir. Dann schmiege ich mich noch etwas fester an meinen Gemahl. Jan scheint das überhaupt nicht unangenehm zu sein, im Gegenteil, er kuschelt definitiv zurück und legt seinen Arm um mich. Eine Weile sitzen wir einfach nur da und genießen die Ruhe. Der Bollerofen bollert vor sich hin, und draußen prasselt der Regen an die Scheibe.
Die Idylle wird jäh unterbrochen, als unsere Empfangsdame mit Schmackes und ohne anzuklopfen die Tür aufreißt.
Weitere Kostenlose Bücher