Florian und das Geisterhaus
Zustand. Er konnte nicht essen, nicht sitzen. Reden mochte er auch mit niemand. Nicht einmal mit Agathe, und denken schon gar nicht. Vielleicht Trompete spielen? Aber das ließ sich jetzt, da die wenigen Pensionsgäste in den Speisesaal gingen und anschließend ihr Mittagsschläfchen halten würden, schlecht machen.
So kam es, daß er die Treppe hinaufstieg, wieder in seinen Trainingsanzug schlüpfte und noch einmal lostrabte in Richtung Waldweiher. Locker, auf sauberen Laufstil bedacht, spürte er seinen Körper deutlich, verfolgte den Wechsel von Anspannung und Entspannung der Muskeln, ja, er kniete sich förmlich hinein, als gelte es, schon in den nächsten Minuten von ihm Abschied zu nehmen. Nie zuvor hatte er sich in seinem durchtrainierten Gehäuse so bewußt und mit ihm zufrieden gefühlt.
Der Lauf ging am Waldweiher vorbei, nach rechts durch das Gehölz zum Aussichtsturm hinauf und von dort auf dem Weg zurück zur Pension Schicksal.
Erst unter der Dusche merkte Florian, wie erledigt er war. Aber angenehm erledigt. Bleischwer sank er aufs Bett und schlief ohne Gedanken sofort ein.
Der Magen war’s, der ihm den Wecker stellte. Es hallte förmlich, so leer war er und schrie: „Was ist denn los? Wo bleibt der Kraftnachschub? Die Organe meutern. Du hast ihnen alle Reserven abverlangt, jetzt mußt du sie auch wieder auffüllen!“
Unverzüglich kam Florian dem inneren Befehl nach. Er setzte sich auf und gähnte erst einmal. Draußen regnete es. Auf der Treppe hörte er Agathe heraufkommen und in ihr Zimmer gehen.
Zwei Stunden hab ich geschlafen! sagte ihm ein Blick auf die Uhr. Agathe wird sich freuen, wenn ich jetzt komme und essen will, wo sie gerade fertig ist mit der Küche! Mit der Zehenzange — mit der linken, weil er’s rechts so gut konnte und nicht einseitig werden wollte — angelte er seine Turnschuhe, schlüpfte hinein und ging zu ihr hinüber.
Wieder einmal bewährte sich der telepathische Kontakt, der sie verband. Ohne daß er lange erklären und bitten mußte, kam sie, schon als er den Kopf hereinstreckte, zur Sache. „Die Schüssel steht auf dem Herd! Du brauchst nur einzuschalten.“
„Du bist prima, Agathe!“ lobte er.
Sie lächelte. „Ich kenn dich eben ein bißchen.“
„So? Dann sag mir doch, was ich heute noch alles mache.“ Das wollte Florian nämlich dringend wissen.
„Bis zum Abendessen hängst du vermutlich herum. Da könntest du deinen Eltern einen Brief schreiben, ihnen erklären, wieso du hier bist. Du hast es deiner Tante Lene ja versprochen.“
„Als Thekla!“ stellte er richtig.
„Willst du dich im Ernst hinter ihr verstecken?“ fragte sie. „Das paßt gar nicht zu dir. Jemand wie du, macht so was selber!“
„Mach ich auch!“ versicherte er. „Und was mach ich dann, am Abend?“
„Da wirst du wieder in meinem Zimmer liegen und mir die tolle Sache erzählen, die dich so beschäftigt.“
„Nicht schlecht!“ Florian nickte vergnügt. „Ich werde hinten anfangen. Dank dir für den Stundenplan. Ja, dann geh ich erst mal essen.“
Auf der Treppe begegnete ihm niemand. Überhaupt hatte er diesmal Glück mit den Pensionsgästen und ihren Sätzen. Jetzt, kurz vor Ostern, waren die Termine vergleichsweise dünn gesät und wenig Hausgäste da, bei dem kühlen Wetter.
Wenn das Taxiunternehmen läuft, kann Tante die Pension zumachen! kombinierte er. Dann gehen die Kunden an ihrem Wohnort zu einem Medium und das nimmt den Kontakt zu Madame auf. Ginge eigentlich jetzt schon. Ist nur nicht bekannt genug. Sicher fürchten manche auch Mitwisser. Die Leute kommen doch mit ihren größten Geheimnissen zu ihr...
Bei solchen Gedanken ließ Florian sich den kräftigen Eintopf schmecken. Die Küchentür war nur angelehnt. Es herrschte absolute Stille im Haus. Wie im Weltraum. Nur einmal hörte er Augusts schlurfende Schritte in der Diele und funkte sofort mit Konzentration: Er soll draußen bleiben! Er soll draußen bleiben!
Die Schritte verstummten. Leise quietschte die Tür des Wandschränkchens, dann klapperte das Schloß der Haustür. Er war hinausgegangen. Der Regen hatte aufgehört.
Zufrieden futterte Florian weiter. Da klickte die Tür von Tantes Ordination, und gleich darauf hörte er eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Woher nur? Schrill und ein wenig überdreht, bedankte sie sich bei der Hellseherin für die treffsichere Hilfe, und es sei eben immer wieder ein Erlebnis, sie zu befragen.
Ist ja wurscht, wer’s ist! dachte Florian. Hauptsache, sie
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